Feind in Sicht
traf die Bordwand des Feindes, die Kugel barst unter den Stückpforten des Hauptdecks und hinterließ ein gezacktes Loch in Form eines riesigen Sterns.
Bolitho blickte zu seinen eigenen Leuten hinunter und biß sich auf die Lippe, bis sie beinahe blutete. Der Mut begann sie zu verlassen. Sie hatten sich besser gehalten und besser gekämpft, als er zu hoffen gewagt hatte, aber es konnte nicht mehr lange so weitergehen.
Ein Chor lauter Stimmen veranlaßte ihn, aufzublicken; starr vor Entsetzen, sah er die Großbramstenge mit Rah und Segel schwanken und sich dann wie trunken nach Backbord neigen, ehe sie, Segel und Männer wegfegend, auf Deck stürzte.
Über dem Lärm hörte er Tomlins laute Stimme, sah Äxte in der Sonne blinken und beobachtete wie im Traum einen nackten Matrosen, der, nur einen Streifen Leinwand um die Hüften, irren Blicks auf die Großwanten zuraste und wie ein Affe in die Webeleinen auf enterte. Pelham-Martins Stander flatterte hinter ihm her, als er auf den Mast hinaufkletterte, um den gefallenen Wimpel zu ersetzen.
Der Kommodore murmelte mit belegter Stimme: »Mein Gott, o du barmherziger Gott…«
Schwerfällig glitt die zersplitterte Spiere über die Gangway und stürzte neben der Bordwand hinab. Ein toter Toppgast hatte sich in den Resten des Riggs verfangen, den Mund in einem letzten Fluch oder Protestschrei noch weit geöffnet.
Midshipman Gascoigne band sich einen Fetzen ums Handgelenk. Sein Gesicht war blaß, aber entschlossen, während er beobachtete, wie ihm das Blut über die Finger rann. Mitten zwischen Qualm und Tod, Blutlachen und winselnden Verwundeten schien nur Pelham Martin unverletzt und unberührt zu sein. In seinem schweren Mantel wirkte er mehr wie ein Felsbrocken als wie ein menschliches Wesen, und sein Gesicht war eine Maske, die wenig über den Mann selbst verriet.
Vielleicht war er über Angst oder Resignation schon hinaus, dachte Bolitho dumpf. Unfähig, sich zu rühren, stand er nur da und wartete auf das Ende seiner Hoffnungen, die Vernichtung seiner selbst und aller um ihn herum.
Bolitho erstarrte, als aus dem Achterdecksniedergang eine Gestalt auftauchte und über einen ausgestreckten Marinesoldaten wegstieg. Es war Midshipman Pascoe mit bis zum Gürtel offenstehendem Hemd. Das Haar klebte ihm in der Stirn, und er sah sich um, wohl benommen von den blutigen Opfern und dem Durcheinander. Dann hob er entschlossen das Kinn und kam zur Achterdecksleiter.
Inch sah ihn und schrie ihm entgegen: »Was gibt’s?«
Pascoe antwortete: »Mr. Beauclerks Respekt, Sir, und er läßt Ihnen mitteilen, daß Mr. Lang verwundet worden ist.«
Beauclerk war der Fünfte und jüngste Offizier. Es wäre zuviel von ihm verlangt gewesen, die dreißig Vierundzwanzigpfünder zu kommandieren.
Bolitho befahl laut: »Mr. Roth! Sie übernehmen unten das Kommando!«
Als der Leutnant zum Niedergang lief, winkte Bolitho den Midshipman heran. »Alles in Ordnung, Junge?«
Pascoe sah ihn mit leerem Blick an und strich sich das Haar aus den Augen. »Aye, Sir.« Er schauderte, als ob ihm plötzlich eiskalt wäre. »Ich glaube, ja.«
Eine Musketenkugel, die ihre Kraft verbraucht hatte, fiel vor seinen Füßen aufs Deck, und er wäre gestürzt, wenn Bolitho nicht zugegriffen hätte.
»Bleib hier, Junge.« Bolitho hielt seinen Arm, spürte seine Magerkeit und die klamme Kälte der Angst.
Pascoe sah sich um, seine Augen leuchteten sehr hell. »Ist es fast vorüber, Sir?«
Oben riß wieder ein Fall, und ein schwerer Block fiel klappernd auf den Verschluß eines Geschützes. Ein Seemann schrie im dichten Rauch auf, fluchte und stammelte sinnlose Wörter, bis das Geschütz feuerte und er sich wieder in seine Umgebung einfügte.
Bolitho zog den Jungen zu den Netzen. »Noch nicht, mein Sohn, noch nicht.« Grinsend zeigte er die Zähne, um seine Verzweiflung zu verbergen. In wenigen Augenblicken würden sie den beiden Schiffen wieder auf kurze Entfernung gegenüberstehen. Gleichgültig, welchen Schaden sie ihnen zufügen konnten, das Ende war unausweichlich.
»Captain, Sir!« Inch kam durch den Qualm auf ihn zu. »Der Feind dreht ab!« Er deutete aufgeregt hinüber. »Sehen Sie doch, Sir, sie setzen beide mehr Segel!«
Bolitho kletterte in die Besanwanten, seine Glieder waren schwer wie Blei. Aber es stimmte: Beide Schiffe drehten ab und nahmen bei dem achterlichen Wind schnell Fahrt auf. Der Rauch wirbelte hinter ihnen hoch wie aus dem Wasser aufsteigender Dunst.
In einem Streifen Sonnenlicht
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