Feind
heute Nacht würde
er auch für Treaton fechten. Die Unfähigkeit des Schülers war zugleich die
Schande des Meisters. Das verdrängte endgültig die Überlegung, absichtlich zu
verlieren, um die Freiheit zurückzugewinnen. Es hätte gelingen können. Zwar
hätte der Ordensmarschall ihn in die Ausbildung gesteckt, aber wenn er sich nur
aufsässig und ungeschickt genug angestellt hätte, hätte man ihn sicher nach
einigen Monaten ziehen lassen. Nur hätte ein solches Verhalten das Andenken
seines Meisters noch weiter beschmutzt.
Nein. Helion musste kämpfen, und er musste siegen. Die Niederlage
war keine Möglichkeit, die er in Betracht ziehen durfte.
Eine Adepta kam in die Kapelle, um eine Kerze mit drei Dochten auf den
Altar unter dem Fenster zu stellen. Die letzte Stunde war also angebrochen. Die
stumme Mahnung forderte die angehenden Paladine auf, darüber nachzusinnen, was
der Zweck ihres Ordens war. Die Mondschwerter waren gegründet worden, den
Tempel der Mondmutter und ihre Priesterinnen zu schützen. Später hatten sie
sich dem aktiven Kampf gegen die Schatten verschrieben, manchmal sogar entgegen
der Weisungen aus dem Rat der Greisinnen. Heute wurden sie keiner Aufgabe mehr
gerecht außer der Befriedigung ihres eigenen Stolzes. Helion hätte über das
nachdenken können, was die Mondschwerter hätten sein sollen anstatt über das,
was sie geworden waren. Aber die Adepta nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Sie
trug eine weiße Toga, die zu weit für ihre zierliche, wenn auch hochgewachsene
Gestalt war. Ihr kräftig blondes Haar wurde von einem Stoffband aus der Stirn
gehalten, sodass es umso dichter zwischen die Schulterblätter fiel. Das Gesicht
mit der geraden, langen Nase und den hellen Augen verriet, dass sie vielleicht
zwanzig Jahre zählte, womit sie etwas jünger war als Helion. Ihr wacher Blick
tastete rasch den Raum ab, wohl um zu prüfen, ob etwas in Unordnung war und
gerichtet werden sollte. Nur auf Helion verharrte er für einen kurzen Moment.
Sie lächelte, als habe sie sich selbst bei etwas ertappt. Dann ging sie hinaus.
Der Anstand verbat Helion, ihr nachzusehen. Aber warum hätte er in
einer Welt, die der Ehre keine Beachtung mehr schenkte, der einzige Anständige
sein sollen? Zumal es ein hohles Ritual war, unbewegt für Stunden zu knien,
wenn die Gedanken ohnehin wild schweiften. Also wandte er sich um. Ihr Gang
wäre einer Fayé würdig gewesen. Sie hielt kurz inne, um die Schlaufen ihres
Gewandes daran zu hindern, von ihrer Schulter zu rutschen, und sah aus den
Augenwinkeln nach ihm. Als sie bemerkte, dass er sie ebenfalls anblickte,
drehte sie sich zu ihm um. Helion grinste, als er die Röte auf ihre Wangen
flammen sah.
Das hätte er wohl besser nicht getan, denn jetzt blinzelte sie und
ging mit schnellen Schritten fort. Ihrer Eleganz blieb sie dabei treu.
Leise seufzend begab sich Helion wieder in die Stellung, die von ihm
erwartet wurde. Vielleicht war es doch eine edle Aufgabe, die Priesterinnen zu
schützen, überlegte Helion. Und wenn auch nur noch wenige Paladine in den Krieg
zogen, wäre es doch sicher möglich, zur Tempelwache eingeteilt zu werden.
Kettenrasseln und das Knacken von Holz über seinem Rücken verrieten
ihm, dass das Dach des Tempels geöffnet wurde, damit Stygrons Licht ungedämpft
hineinfallen konnte. Nun, da er wusste, dass ihn nur noch eine gute Halbstunde
vom Beginn der Prüfung trennte, fand er endlich die Ruhe, die er den ganzen
Nachmittag über gesucht hatte. Er sah die Kerzenflammen und sah sie doch nicht,
schenkte dem verlöschenden Sonnenlicht nicht mehr Aufmerksamkeit, als der Wind
der Wiese entgegenbrachte, über die er strich. Sein Atem wehte beständig durch
ihn hindurch. Die Muskeln wandten nicht mehr Kraft auf, als sie brauchten, um
ihn in der knienden Position zu halten. Die Zeit war an einem anderen Ort.
Der tiefe Ton des großen Gongs holte ihn zurück.
Wie alle Adeptae nutzte auch Ajina gern jeden Vorwand, um den
Knappen der Mondschwerter bei ihren Übungen im Rittersaal zuzusehen. Die
meisten von ihnen waren nett anzuschauen und etwa in Ajinas Alter. Natürlich
gab es auch den ein oder anderen fetten Honoratioren, der sich durch die
Aufnahme in den Orden neue Möglichkeiten erhoffte, um in respektablen Kreisen
wahrgenommen zu werden. Aber die meisten Männer dort waren eine Zierde ihres
Geschlechts, die durch den Vergleich mit solcherlei traurigen Gestalten noch
aufgewertet wurde. Wegen ihrer häufigen Besuche hätte sie alle Anwärter
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