Feind
anderen Aspiranten. Die jungen Männer schlossen die Lücken
zwischen den Rubingestellen, sodass sich ein Kreis formte. Er trug den üblichen
ledernen Harnisch, der die Arme unbedeckt ließ. Seine Muskeln waren deutlich
definiert, wenn sie auch bei Weitem nicht das Volumen der Träger erreichten,
deren Arme im Umfang den Beinen des Fremden glichen. Der Helm hatte kein
Visier, aber Wangen- und Nackenschutz verwehrten Ajina den Blick auf sein Haar.
Ohne es bemerkt zu haben, hatte sie schon begonnen, ihre Schritte zu
ihm zu lenken. Das letzte Stück ging sie schneller, lief beinahe, um Nalaji
zuvorzukommen und ihren zweiten Rubin in die noch leere Halterung zu stecken.
Die andere Adepta runzelte verwundert die Stirn, lächelte dann aber, was wegen
ihrer verheulten Augen freudlos wirkte, und ging weiter.
»… Guardaja zu halten«, hörte Ajina in
ihrem Kopf. »Fällt die Festung, ist das Silber verloren.
Ohne Silber werden wir keine wirksamen Waffen mehr schmieden können. Die Mauern
sind dick, aber so mancher Stein ist porös. Wir können sie nicht ausbessern,
solange …« Sie löste sich.
Der Fremde war jetzt so nah, dass sie nur den Arm hätte ausstrecken
müssen, um ihn zu berühren. Sein Kinn war eckig und sprang entschlossen vor,
ebenso wie die Nase, die so gerade war wie Ajinas eigene.
Grinsend drehte er ihr das Gesicht zu. »Ich bin Helion«, stellte er
sich vor.
»Mein Name ist Ajina.« Sie spürte die Hitze in ihre Wangen steigen.
Was tat sie überhaupt hier? Was, wenn Oberin Esmalla jetzt herübersehen würde?
Seine Augen waren rauchgrau, die linke Braue von einer kleinen Narbe
gespalten. Die Wangen hatte er sorgfältig geschabt. Sie hatte ihn ganz sicher
noch nie gesehen.
»Ihr kommt nicht aus der Schule des Ordens.«
»Ihr auch nicht.«
»Ich bin eine Adepta.«
»Und ich ein Schwertschüler.«
»Aber eine Adepta wird im Tempel ausgebildet, ein Knappe … Moment!
Ihr foppt mich!«
Noch immer grinsend, nickte er. »Ich konnte nicht abwarten, die Wut
in Euren Augen blitzen zu sehen. Ihr habt auch Feuer im Herzen, nicht nur in
den Wangen.«
Seine Rede machte die Hitze in ihrem Gesicht nur schlimmer. Ajina
war froh, als der Gong erneut dröhnte und Ordensmarschall Giswon vor das
Silberbecken trat, das inzwischen auf dem Dreibein über den glühenden Kohlen
stand.
»Anwärter!«, rief er. Seine Stimme war lauter, als seine in Samt und
Spitze gekleidete Gestalt erwarten ließ. »Dies ist eine Nacht der Auswahl!
Jetzt entscheidet sich, wer ein Silberträger wird und wer noch lernen muss.
Durch den Boden dieses Tempels wird die Trennlinie zwischen Meister und Schüler
gezogen. Ehrt die Toten! Dient der Mondmutter! Schützt ihre Priesterinnen! Dies
ist eure Bestimmung. Stygron sei unser Zeuge.« Mit gestrecktem Arm zeigte er
durch die Öffnung im Dach hinauf zu dem roten Mond.
Es war das Privileg der Dreifach Gepriesenen, die Lose zu wählen.
Die Oberpriesterin war nicht viel älter als Ajina. Natürlich stammte sie aus
einer der vornehmsten Familien Ilyjias. Von Geburt an war sie auf ihr Amt
vorbereitet worden. Dazu hatte sicher auch gehört, zu üben, den Hals unter der
Last des ausladenden violetten Huts gerade zu halten. Ein Holzgestell im
Inneren hielt den Kopfputz in Form. Er ragte einen Schritt über den Scheitel
seiner Trägerin auf. Durch die weit fallenden Ärmel hatte sie Ähnlichkeit mit
einer übergroßen Fledermaus, umso mehr als sie sich blähten wie Segel, während
sie zu dem Kampfschild schritt, in dem die Lose standen. Es waren Statuetten,
die sich äußerlich nicht unterschieden. Sie zeigten einen Paladin, der vor
seinem Schwert kniete. Unter ihre Sockel waren die Namen der Anwärter
geschrieben.
Willkürlich griff die Dreifach Gepriesene eine der Figuren heraus
und drehte sie um. »Sparton!«, rief ihre dünne Stimme, um kurz darauf, als sie
die zweite Statuette gegriffen hatte, zu verkünden: »Phestos!«
Die Genannten trafen sich im Kreis, während schon die nächsten Namen
verlesen wurden. »Deklatian! Clesso! Kianor …« Die Kampfpaare fanden sich, die
Gegner wechselten einige Worte untereinander. Wer nicht zu den zehn Ersten
gehörte, kniete nieder. Die Paladine standen im Westen versammelt, vor dem
Ausgang, von wo aus sie die Zeremonie verfolgten. Aus dieser Menge lösten sich
nun die Schwertväter der Aufgerufenen, um sich hinter ihre Zöglinge zu stellen,
die Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs zu bezeugen und über den kommenden Kampf zu
richten.
Ajina sah unauffällig
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