Feind
»Ich bin Euch dankbar, dass Ihr
Zeit für mich findet. Ich habe nicht daran geglaubt, dass sich eine Priesterin
für mein Missgeschick interessieren würde, aber Deria ließ sich nicht davon
abbringen.«
»Ich bin noch nicht zur Priesterin geweiht«, korrigierte Ajina,
obwohl es für diese Menschen keinen Unterschied machen würde. Wenn sie das Bein
retten konnte, wäre sie so etwas wie eine Halbgöttin.
Vorsichtig hob sie die Wolldecke an. Die Wunde war unübersehbar. Bei
Waldarbeitern war es ein häufiger Unfall, sich die Axt ins eigene Bein zu
schlagen. Auch die Stelle war nicht ungewöhnlich, das Blatt war in den
Unterschenkel gedrungen. Behutsam löste Ajina den Verband. Dennoch zischte
Kester. Die nässende Wunde hatte die Binde verklebt.
»Ihr habt Glück«, behauptete Ajina. »Der Knochen ist nicht
getroffen. Nur eine Fleischwunde.«
Das war in der Tat gut. Weniger gut war die Tatsache, dass sich die
Wunde entzündet hatte. Das Fleisch war blau, an einigen Stellen sogar schwarz.
Als Deria mit dem Kessel kam, bat Ajina um eine offene Kerze. Sie
nahm ihre scharfen Klingen aus dem Beutel. »Ich werde das faulige Fleisch
fortschneiden müssen, damit gesundes nachwächst. Ich will, dass ihr eines der
Hühner schlachtet und es hinter dem Haus in den Wald legt.«
»Damit sich die Geister das Huhn holen und nicht Kester?«, fragte
Deria.
Ajina lächelte. »Für Geister bin ich nicht zuständig. Mir geht es um
die Maden. Mit etwas Glück werdet ihr die kleinen, weißen Dinger schon morgen
früh auf dem Aas finden. Ihr müsst sie sammeln und auf die Wunde legen.«
Angeekelt verzog Deria das Gesicht.
»Ich weiß, das ist kein schöner Anblick, aber sie lieben faules
Fleisch. Sie fressen es gründlicher weg, als ich es jemals schneiden könnte.«
Ajina zog die Klinge durch die Kerzenflamme. Dann begann sie. Kester
hielt die Hand seiner Frau. Bis auf ein leises Wimmern war keine Klage von ihm
zu hören.
Aufgeregtes Gackern kündigte neuen Besuch an. Ajina wunderte sich
darüber, dass so tief im Wald jemand nach dem Rechten sah, aber sie wollte sich
nicht von ihrer Aufgabe ablenken lassen.
Als die Tür so heftig aufgestoßen wurde, dass sie gegen die Wand
krachte, zuckte Ajinas Kopf jedoch unwillkürlich zu den beiden Bewaffneten
herum, die mit verschlossenen Mienen eintraten. Ihre Lederpanzer schützten
lediglich den Rumpf, Arme und Beine waren von grober Wolle bedeckt. Der Schmutz
an den Stiefeln zeugte von einer langen Wanderung.
Unsicher ging Deria zu den Männern, aber diese schoben sie rüde zur
Seite. Einer hielt sie gegen die Wand gedrückt, ohne ihr ins Gesicht zu sehen,
während der andere schnellen Schrittes zu Rina trat, sie packte und sich über
die Schulter warf. Das Mädchen schrie.
Der Fieberglanz wich aus Kesters Augen. »Was tut Ihr?«, rief er und
richtete sich auf dem Krankenlager auf.
Der Krieger wandte sich zum Gehen, das zappelnde Mädchen ebenso
ignorierend wie die Frage des Vaters.
Während sich Ajina erhob und Kester mit beiden Händen das kranke
Bein packte, um es auf den Boden zu setzen, bewies Deria eine Kraft, die man
ihr kaum zugetraut hätte. Sie sprengte den Griff, der sie an der Wand hielt,
und schlug ihrem Gegner die Fingernägel ins Gesicht. Wohl mehr aus Überraschung
denn vor Schmerz schrie dieser auf und taumelte einen Schritt zurück, was Deria
Raum gab, sich demjenigen, der ihre Tochter entführte, in den Weg zu werfen.
»Du blöde Metze!«, rief der Krieger, dem sie gerade entkommen war,
und hieb ihr die Faust auf die Schulter. Wie gefällt sackte sie zu Boden.
Kester griff nach dem Schürhaken, der neben dem Ofen stand, und
eilte damit bewaffnet seiner inzwischen heftig weinenden Tochter zu Hilfe.
»Lasst Rina los!« Er bewegte das kranke Bein, als sei es aus einem Ast
geschnitzt. Unwillkürlich stellte sich Ajina hinter ihn, obwohl sie nicht mehr
aufbieten konnte als die kleine Klinge, mit der sie die Wunde behandelt hatte.
»Du dummer Kerl!« Der Kämpfer, der gerade seine Frau ohnmächtig
geschlagen hatte, verstellte ihm den Weg und riss das Kurzschwert aus der
Scheide. »Weißt du denn nicht, dass ihr alle Eigentum des Barons seid?«
»Lasst meine Tochter in Frieden!«
Als Kester ausholte, hätte der Haken um ein Haar Ajinas Gesicht
getroffen. Kester fiel mehr in seinen Angriff, als dass er einen Schritt
gemacht hätte.
Der Kämpfer bewies Kaltblütigkeit. Er tänzelte zur Seite, sodass der
Hieb harmlos in den Boden schlug, und stach seinerseits
Weitere Kostenlose Bücher