Feind
zu.
Kester schrie. Ajina konnte nicht sehen, wie tief die Stichwunde
war, aber das Blut strömte zwischen den Fingern hindurch, die er sofort
daraufpresste. Der Schürhaken entfiel ihm, als er auch die zweite Hand zu Hilfe
nahm. Er beugte sich weit vor. Das kranke Bein knickte ein. Der Krieger half
seinem Fall mit einem Tritt nach.
Ajina konnte den Blick nicht von dem Blut abwenden. Kester hustete
roten Schaum.
»Und du hast auch noch nicht genug?«, brüllte der Krieger mit dem
blutigen Schwert, während sein Kamerad über die ohnmächtige Deria stieg und mit
der auf seinen Rücken trommelnden Rina verschwand.
Ajina war wie gelähmt. Sie sah nur das Blut und die Qual auf Kesters
Gesicht. Nur der kleinere Teil davon kam von seinen körperlichen Schmerzen, da
war Ajina sicher. Sein hilflos aufgerissener Mund kündete von der Pein des
Vaters, der seine Familie nicht schützen konnte.
Der Krieger griff die Hand, in der Ajina das Messerchen hielt, und
schlug ihr die um den Schwertgriff geschlossene Faust ins Gesicht. Für einen
Moment war es, als habe man ihr ein schwarzes Tuch über den Kopf geworfen. Im
nächsten lag sie auf dem Boden, neben Kester, der sich wand wie ein
erstickender Fisch. »Hilf meiner Tochter!«, gurgelte er.
Ajina verlor das Bewusstsein.
»Ich verstehe immer besser, was der Ordensmarschall meinte, als
er mir sagte, auf dem Parkett werde eine andere Art von Krieg geführt«,
sinnierte Helion. Er saß an eine Wurzel eines der Bäume gelehnt, die Trubers
Palast formten. Heute hatte das Licht des Mondes Silion beinahe die Farbe von
Milch. Es ließ das Silber auf Helions Rüstung funkeln.
Vor dem nächtlichen Schatten des riesenhaften Baumes sah selbst
Estrog aus wie ein Wichtel, obwohl er aufrecht stand. Zwischen ihm und Helion
hatte sich eine robuste Freundschaft entwickelt. Helion wusste zu schätzen, dass
der Barbarenhäuptling immer geradeheraus war, und Estrog meinte, dass Helion
vom lähmenden Gift der Zivilisation einigermaßen verschont geblieben sei.
»Sie sind mir zuwider mit ihrem geckenhaften Gehüpfe«, murrte er
dann auch. Oben im Saal wurde getanzt, wobei sich Phaistor längst auf die
tröstende Wirkung des Alkohols besonnen hatte und nicht mehr zu wohlgesetzten
Schritten in der Lage war. »Wenn ich ein Weib will, dann nehme ich es mir. Ich
muss nicht mit artigen Verbeugungen sein Wohlwollen gewinnen.«
»Und wenn sie nicht will?«
Er lachte mit seinem tiefen Bass, was Helion das Gefühl gab, unter
der Rüstung zu vibrieren. »Warum sollte sie mich nicht wollen? Alle Frauen
bewundern Stärke, so wie alle Männer Schönheit suchen.«
»Barbar müsste man sein«, seufzte Helion und legte den Kopf zurück,
bis er an die Rinde stieß.
Eine Weile schwiegen sie.
»Es geht nicht nur darum, dass Mann und Frau sich finden«, murmelte
Helion dann. »Eigentlich ist das sogar nur selten der Zweck dieser Tänze. Öfter
will man zeigen, welcher Fürst welchem anderen gewogen ist. An den Obstschalen
flüstert man sich Geheimnisse zu. Die Hälfte davon ist gelogen, und die meisten
Vorschläge sind unehrlich.«
»So wie das Angebot Eskads, uns Pikeniere beizustellen. Ich bin
nicht dumm, Paladin. Ich weiß das.«
Helion blinzelte. »Ich frage mich, woher Ihr das wisst. Für einen
Barbaren seid Ihr seltsam bewandert in den Eigenheiten der zivilisierten
Reiche.«
»Oh, Ihr habt diese Angewohnheit, alles aufzuschreiben, um Euren
eitlen Gedanken Unsterblichkeit zu verleihen. Was geschrieben steht, kann
gelesen werden.«
»Ihr könnt lesen?«
»Ihr etwa nicht?«
»Doch, aber ich … In meinem Dorf gab es einen Lehrer. Wir saßen
zweimal in der Woche unter der großen Eiche. Sie war nicht so riesig wie diese
Bäume hier«, er klopfte an die Wurzel, »aber wenn es nicht zu stark regnete,
hatte man es trocken und an heißen Tagen spendete sie Schatten. Ich kann mich
erinnern, wie wir Buchstaben in den Sand malten. Aber es ist eine seltsame
Vorstellung, dass Ihr in ähnlicher Weise ausgebildet wurdet.«
»Das wurde ich auch nicht. Ich musste mit einer Gänsefeder auf
Pergament schreiben und bekam Hiebe, wenn ein Schnörkel verrutschte.«
»Was?«, rief Helion. Er konnte sich schwer ein Schreibpult
vorstellen, hinter das der Riese gepasst hätte. »Ihr haltet mich zum Narren!«
»Nein. Aber meine Erzieher machten mich zum Gespött. Ich war so
etwas wie ein Tanzbär am Hofe eines Grafen in Ublid. Mein Vater erzog den
gräflichen Sohn, und der Graf nahm mich als Ausgleich zu sich. Es sollte
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