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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Mondmutter eingeschlagen hatte. Dieses
Kind hatte keine Wahl, und damit hatte auch Ajina keine mehr. Sie musste
helfen. Sie umklammerte das Schwert so fest, dass ihre Hand schmerzte, und ging
zügig den Hügel hinauf, dem Geräusch entgegen.
    Der Schrei verklang, um sofort neu und laut anzusetzen. Jedes Kind
musste einmal Luft holen. Ajina ging nun nicht mehr, sie rannte. Sie
strauchelte, fing sich wieder, hastete weiter. Sie fragte sich, was sie tun
sollte, wenn sie der Bestie erst gegenüberstünde, von deren Aussehen sie keine
genaue Vorstellung hatte. Flügel, ein Frauenkörper, schön und doch schrecklich … Sie zog die Klinge blank und warf die Scheide fort.
    Sie stand vor einer dunkel gähnenden Öffnung, annähernd rund, mehr
als zwei Schritt im Durchmesser, unzweifelhaft ein alter Stollen. Unmöglich zu
erkennen, wie weit er in die Tiefe führte. Wenn sie wenigstens eine Fackel
gehabt hätte! Sehnsüchtig sah sie zurück zu den Lagerfeuern im Tal, die von
hier aus wie Glühwürmchen wirkten.
    Der nächste Schrei trieb ihr Tränen in die Augen. Ihre Vorstellung
sandte ihr Bilder von dem gequälten Mädchen. Sie wusste, dass die Kreaturen der
Finsternis nicht zimperlich waren. Früher war sie manchmal Zeugin gewesen, als
ihr Vater Umgang mit ihnen gepflegt hatte. Die meisten Dämonen liebten es, sich
an den Schmerzen ihrer Opfer zu weiden. Viele zogen daraus Kraft wie ein Mensch
aus der Nahrung. Sie brauchten Angst und Leid zum Überleben. Bevor es Ajina
bewusst wurde, hatte sie schon wieder einen Fuß vor den anderen gesetzt und war
den verzweifelten Schreien in die Dunkelheit gefolgt.
    Da sie nichts sehen konnte, tastete sie sich an der Wand entlang.
Der Boden war uneben. Die Decke der stillgelegten Mine musste nachgegeben
haben, überall lagen kopfgroße Brocken im Weg. Die Schreie hallten durch den
Gang.
    Zuerst dachte sie, ihre Augen seien einer Täuschung erlegen, als sie
in der absoluten Lichtlosigkeit einen dunklen Schemen sah, genau dort, wo sie
die Kinderstimme vernahm. Sie blinzelte, aber der Schemen blieb.
    Dann begriff sie.
    Dunkelheit war einfach nur das Fehlen von Licht, so wie in diesem
Stollen. Die Strahlen von Monden und Sternen drangen nicht hierher vor, und sie
hatte keine Leuchte bei sich. Also sahen ihre Augen nur Schwärze.
    Aber das dort vorn war weder Dunkelheit noch Schwärze. Es war
Finsternis, etwas, dem man in der von den Göttern geschaffenen Welt nicht
begegnete. Die Augen waren damit überfordert. Sie gaukelten dem Verstand vor,
dass dort etwas war, noch dunkler als die absolute Dunkelheit, noch schwärzer
als das tiefste Schwarz. Ajina schauderte. Beinahe wäre ihr das Schwert
entglitten.
    Erschrocken griff sie fester zu. »Lass ab von ihr!«, rief sie,
obwohl sie das Mädchen nicht sehen konnte. Ihre Worte hallten von den
Stollenwänden wider.
    Ein Ruck ging durch den finsteren Schemen. Die Schreie wurden zu
einem Wimmern.
    »Gelaja, lauf!«, rief Ajina. Sie musste den Moment nutzen, in dem
das Monstrum abgelenkt war. »Zu mir, und dann weiter! Der Ausgang ist ganz
nah!«
    »Mein Fuß tut weh!«, klagte eine dünne Stimme.
    Ajina stöhnte. Vermutlich hatte sich das Mädchen einen Fuß
gebrochen. Natürlich, sonst wäre es schon längst in das Lager zurückgekehrt.
    »Lass sie in Ruhe!«, schrie Ajina die Finsternis an. Sie glaubte
nicht, der Erscheinung Angst machen zu können, aber immerhin machte sie sich
selbst Mut, den sie unbedingt brauchte, um vorwärtszugehen.
    Die Entfernung war schwierig zu schätzen, weil die Finsternis des
Wesens nicht vollständig durch Ajinas Sinne zu erfassen war. Zudem fehlten
Ajina in der Dunkelheit die Vergleichspunkte.
    Das änderte sich, als ein waberndes Grau erschien, wie Schlieren von
Rauch, die in einer Kristallkugel gefangen waren. Es befand sich auf Kopfhöhe,
drei Schritt vor Ajina. Mit einem verzweifelten Schrei holte sie aus, so weit
sie konnte, sprang und schlug zu. Die Klinge traf auf keinen Widerstand, sie
schnitt wie durch Luft, obwohl Ajina hätte schwören können, dass sie nahe genug
war. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Das Schwert krachte auf den
Boden. Die Vibration übertrug sich von der Klinge über den Griff in ihren Arm,
so plötzlich, dass sie zum zweiten Mal beinahe ihre Waffe fallen gelassen
hätte.
    Das graue Wabern näherte sich. Es nahm ihren Blick gefangen. Sie
konnte nicht mehr wegsehen.
    Es war tatsächlich so groß wie ein Kopf, wenn es auch keine Kugel
war. Eher ein leicht gewölbtes Oval. Wie

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