Feind
noch immer schön, aber ihr
Gesicht war nicht wiederzuerkennen. Die Lippen wulstig, Reste vom Schaum noch
daran, die helle Haut mit einem Schimmer von Blau und Grün gefärbt, die Augen
tief zurückgezogen und von nun an empfindlich gegenüber hellem Licht, die
Kiefer so breit, dass man den Kopf eines Kindes hätte dazwischenschieben
können. Auch die Locken würden ihr bald ausfallen. Lióla spürte einen Hauch
Bedauern darüber. Eine Schwäche, für die sie sich später geißeln würde.
Jetzt zeigte sie auf die Statue. »Stürzt den machtlosen Gott!«,
befahl sie.
Die Kraft von Ghoulen war erstaunlich, vor allem in den ersten
Nächten ihres Unlebens. Der männliche erreichte das Standbild als Erster. Ein
einziger Hieb seiner Pranken reichte aus, ein steinernes Bein zu zertrümmern.
Danach blieb nur noch, den Stiergott in immer kleinere Bruchstücke zu
zermalmen. Nur der eiserne Torso machte ein wenig Mühe. Lióla gebot den Ghoulen
Einhalt, bevor sie sich zu sehr an den scharfen Metallkanten verletzten.
Sie trat wieder vor die Menge. »Denkt nach über das, was ihr hier
gesehen habt! Vergesst niemals die Macht der Schattenherren!« Ein letztes Mal
ließ sie den Blick über die Menge schweifen. Niemand sah sie an, alle Augen
waren zu Boden gerichtet. Sehr gut.
»Und nun geht!«
Die Krieger gaben den Weg für die Menge frei.
Avin war die Zufriedenheit anzusehen. Er scherzte mit den Trommlern,
sogar mit einem der Bewaffneten, die sie aus Karat-Dor hierherbegleitet hatten.
Nach einem prüfenden Blick traute er sich, zu ihr zu kommen. »Das war
überwältigend, Dunkelruferin!«
»War es das?«, fragte sie eisig.
Er zuckte zusammen. »Ja. Ich meine …«, er schluckte. »Ich maße mir
nicht an, Eure Handlungen zu beurteilen.«
»Gut. Lass die Ghoule zu den Gräbern führen. Sie werden hungrig
sein. Wann wurde dieser Ort genommen?«
»Vor drei Wochen, Herrin.«
»Wann genau? Vor wie vielen Tagen?«
»Zweiundzwanzig, Herrin.«
»Dann sollten die Leichen der Gefallenen weit genug verwest sein.
Aber dafür haben die drei jetzt ohnehin eine Nase. Lasst sie sich ihren Schmaus
selbst wählen.«
»Ja, Dunkelruferin.«
»Wenn sie satt sind, lass die Frau, die wir aus Karat-Dor
mitgebracht haben, zu meinem Gefolge führen. Ich behalte sie als Lohn für meine
Mühen.«
Sie lächelte, als er sich unter Verbeugungen entfernte. Sie würde
noch viel Freude an Pnemaja haben. Nein, nicht Pnemaja. Das war der Name der
Lebenden gewesen, die Untote brauchte einen neuen. Mit Wohlgefallen betrachtete
Lióla das auch nach der Verwandlung noch schöne brünette Haar.
Die Süße war noch in Helions Mund. »Keine Sorge, ich habe sie
selbst probiert.«
Die Flinken Gnome, Gelajas Freunde, riefen ihre Zustimmung und
bekundeten lautstark den guten Geschmack.
Ajinas Gesicht blieb skeptisch. Sie stand vor dem Lager ihrer jungen
Patientin wie eine Wache vor einem Tempel. Sofort nach ihrer Rückkehr hatte sie
dafür gesorgt, dass die Gnome einen Platz an einem der Lagerfeuer bekamen, aber
erst Helions Einfluss hatte einen milirischen Ritter dazu bewogen, sie in sein
Zelt zu lassen. Hierzulande bedeutete Ritterschaft Stolz, das konnte man an den
aufgepflanzten Standarten sehen, dem prächtigen Zelt, den zwei Rossen mit dem
bronzenen Zaumzeug, den edlen Verzierungen an Schild und Waffen. Aber es war
kein leerer Hochmut, der diese Ritter prägte. So kunstvoll gearbeitet Lanzen
und Schwerter waren, hatte man doch darauf geachtet, dass sie im Kampf ihren
Zweck erfüllten, wie Helion sofort erkannte. Und so war es der Stolz gewesen,
der diesen Ritter hatte anerkennen lassen, dass Gelaja und ihre Retter in
dieser Nacht durch eben jene Finsternis gegangen waren, die zu bekämpfen er
ausgezogen war. Er hatte ihnen nicht nur Platz in seinem Zelt gegeben, er hatte
es gänzlich geräumt und ihnen für den Rest der Nacht überlassen.
Ajina roch an den dürren Wurzeln, an denen noch etwas Erde hing.
»Wisst Ihr, was das für eine Pflanze ist?«
»Nein«, gab Helion zu. »Aber macht Euch keine Sorgen, Ajina.« Als er
ihren Namen nannte, hellten sich ihre Züge auf. »Ich weiß nicht, woran es
liegt, aber schon als Kind hatte ich ein Gespür für alles, was essbar ist.«
»Die Wurzel schmeckt!«, insistierte auch eines der Kinder mit
solchem Ernst, dass Helion lachen musste.
»Das klingt gut«, sagte Ajina. Sie sah ihm in die Augen, während sie
ein Stück abbiss und vorsichtig darauf herumkaute. Dann lächelte sie. »Wirklich
süß.«
»Und
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