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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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sei
außergewöhnlich stark. Auf meine Art. Sie lehrte mich nicht nur die Kraft der
Vergebung, sondern vor allem das Mitleid. Mit einem Mann, so mächtig, dass er
dieses Gefühl noch nie empfangen hatte.«
    »Deinem Vater.«
    »Ja. Der mächtigste Magier der Menschheit. Und einer der einsamsten
Menschen der Welt. Ich studierte die Lehren der Mondmutter, ich wusste bald
sehr genau, was ihn im Nebelland erwartete. Er hat mehr göttliche Gesetze
gebrochen, als die meisten Menschen überhaupt kennen. Seine Qualen werden ohne
Vergleich sein. Es sei denn, er schafft einen Ausgleich.«
    Helion schwieg.
    »Du verstehst es noch immer nicht, oder?«
    Er seufzte. »Nein.«
    »Wenn ich ihn über alle Maßen hassen würde, das wäre leichter zu
begreifen, oder?«
    »Ich denke schon.«
    »Hass, Gier, Neid … Es ist ein Spiegel für uns, welche Regungen uns
leichter einleuchten. Aber wenn wir diesen Weg weitergehen, dann werden wir
niemals ein Land erreichen, in dem Liebe, Fürsorge und Milde bestimmen.«
    »Genug davon.« Er zog sie an sich und küsste sie. »Eine Frau sollte
immer auch ein Rätsel für einen Mann bleiben.«
    Ein Schrei aus dem Nachbarraum ließ ihn auffahren. Noch bevor der
zweite Schrei erklang, diesmal eindeutig aus einer weiblichen Kehle, hatte
Helion das am Bett lehnende Schwert gefasst. Er sprang über Ajina und riss die
Tür auf.
    Modranel war nicht allein. Deria war bei ihm. Beide waren
vollständig angekleidet, ihre geröteten Augen verrieten, dass sie in dieser
Nacht nicht geschlafen hatten. Auf dem Tischchen zwischen ihnen stand ein
Spielbrett mit unterschiedlich großen Drachenfiguren darauf. Es wurde von einem
Leuchter beschienen, vor dem erloschene Kerzenstummel davon zeugten, dass er
mehrmals neu bestückt worden war. Nichts von dem gab einen Hinweis darauf,
warum ihre Gesichter solches Erschrecken zeigten. Sie sahen jedoch so alarmiert
aus, dass Helion das Schwert aus der Scheide zog, während er sich weiter umsah.
    Das Bett lag unberührt, wie die Zofe es hergerichtet hatte. Ein
bauchiger Krug stand auf dem Boden zwischen zwei schmucklosen Kelchen.
Wahrscheinlich mit Wasser verdünnter Saft, Deria und Modranel teilten eine
Abneigung gegen Wein. Sie hatten auf dem Weg viele Stunden miteinander
verbracht, aber ihr Interesse aneinander war rein geistiger Natur. Aus dem, was
Helion mitgehört hatte, schloss er, dass Deria ihr entbehrungsreiches Leben vor
Modranel ausbreitete, der ihr gegenüber eine erstaunliche Feinfühligkeit
aufbrachte.
    Dann sah Helion, dass die zweite Tür, jene zum Gang, offen stand.
»Wer war hier?«, fragte er.
    »Er hat mich gesehen«, sagte Modranel. Sein Gesicht war unverhüllt
und die Kerzen brannten hell.
    »Wer?«
    »Pepp«, antwortete Deria.
    »Er hat nichts gesagt«, fügte Modranel hinzu, der jetzt aufstand.
»Ist sofort wieder hinausgestürzt.«
    »Gnädige Monde!«, rief Helion und rannte los.
    Seine nackten Füße klatschten in so rascher Folge auf den Steinen,
als wären sie die Stöcke eines Trommlers. Die Magd, die an der nächsten
Einmündung die Fackeln auswechselte, erschrak beim Anblick seines blanken
Schwerts.
    »Hast du Pepp gesehen?«, rief er ihr zu. »Kurze rote Haare?«
    Mit offenem Mund nickend, zeigte sie nach rechts.
    Er musste den Knaben unbedingt einholen. Was hatte ihn in Modranels
Kammer geführt? Wenn er so schnell davongerannt war, konnte er nicht erwartet
haben, was er vorgefunden hatte. Was wusste er? Er war zum Zimmer Arulas
gekommen, der altersschwachen Priesterin, als die sich Modranel ausgab. Helion
wusste, dass Pepp in der Nacht einem von Estrog angeführten Spähtrupp zugeteilt
worden war. Vielleicht hatte er Trost bei jemandem gesucht, der den Göttern
nahestand. Aber das erklärte nicht, warum er so überstürzt davonrannte. Es
mochte ihn verblüffen, dass ein Mann in der Toga der Priesterin steckte, er
mochte empört sein, weil dieser Mann sich den ganzen Weg hatte kutschieren
lassen. Doch Empörung entlud sich bei jemandem wie Pepp in zeternden Flüchen,
nicht in einer Flucht.
    An der nächsten Kreuzung warf Helion einen raschen Blick nach links.
Da war er. Pepp stand an eine Wand gelehnt und schien nachzudenken. Erst als er
Helion bemerkte, stieß er sich ab und lief weiter. Sein Gesicht war ebenso
verdreckt wie sein Lederpanzer, also kam er wohl direkt von seinem Einsatz.
    »Warte!«, rief Helion. »Pepp! Bleib stehen!«
    Dass der Junge es nicht tat, war ein weiteres sicheres Zeichen
dafür, dass er mehr wusste, als für alle

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