Feindberührung - Kriminalroman
Mühe, die Haut war dünn, hauchdünn.
» Frau Rems, ist Ihr Sohn zu Hause?«
» Was, verdammt noch mal, hat das jetzt mit meinem Sohn zu tun?« Sie schrie fast.
Therese machte beschwichtigende Gesten mit den Händen.
» Nichts, wirklich. Wir wollen nur wissen, ob er zu Hause ist.«
Samantha Rems atmete tief ein und aus. Sie beruhigte sich etwas.
» Kevin ist bei meiner Schwester, wir wechseln uns ein bisschen ab mit den Kindern. Also, was ist mit Lars?«
» Frau Rems, Ihr Mann ist tot. Es tut mir leid.«
Der Schrei war ohrenbetäubend, schrill, wie von einem Tier. Samantha Rems ging in die Knie, leerte ihre Lungen in dem Schrei, sog mit einem seufzenden Ton neue Luft ein, und dann kamen die Tränen, sie heulte laut und hemmungslos, schlug sich gegen die Stirn, erst mit der flachen rechten Hand, dann mit der Faust, schließlich mit beiden Fäusten, sie trommelte einen Wirbel aus Schmerz, dann synchron mit beiden Fäusten, wieder und wieder.
Therese kniete vor ihr, versuchte, die Arme zu fassen. Zuerst wehrte die klagende Frau ab, schwach, dann verbarg sie ihr Gesicht hinter den Armen, die Hände auf dem Kopf, und schluchzte. Therese griff vorsichtig die Handgelenke und hielt sie einfach nur. Nach einer Weile ließ Samantha Rems dann zu, dass Therese ihre Arme nach unten zog und setzte sich erschöpft hin, ihr Rücken fiel in sich zusammen, und die Arme hingen jetzt schlaff an den Seiten herunter, sie wimmerte. Therese rutschte neben sie und nahm sie langsam tastend in den Arm. Samantha Rems ließ es zu.
» Es ist okay, Samantha, es ist okay. Ich bin da, wir sind da. Es ist okay.« Therese strich ihr über den Kopf.
Grewe hatte jetzt furchtbares Kopfweh. Er hatte schon oft Todesnachrichten überbracht, schon oft solchen Schmerz gesehen. Aber hier hatte zunächst alles nach einer bitteren Trennungsgeschichte ausgesehen, nach schweren Enttäuschungen und lange vergangener Liebe. Er hatte nicht mit so maßloser Trauer gerechnet.
» Therese, ich finde, wir sollten einen Arzt rufen. Was meinst du?«
Therese nickte leicht.
» Samantha, wir holen einen Arzt, ja? Sollen wir noch jemanden anrufen? Ihre Schwester vielleicht, oder sonst wen?«
Das Wimmern wurde tonlos, ging in ein zitterndes Atmen über, dann beruhigte sich der Körper. Samantha Rems wand sich aus Thereses Umarmung und zog sich dann auf das Ledersofa hoch. Sie lehnte sich zurück, atmete mehrmals tief ein und aus.
Dann stand sie plötzlich auf, ging in die angrenzende Küche, kam von dort mit einem Päckchen Tabak zurück. Mit erstaunlich sicheren Fingern drehte sie sich eine Zigarette, öffnete die Glastür zum Garten und zündete die Zigarette an. Sie rauchte drei, vier Züge, murmelte etwas.
Therese und Grewe schauten sich an.
» Die Dreckschweine. Ich habe gebettelt, dass er sich wenigstens von denen fernhält, wenn er schon alles wegwirft. Jetzt haben sie ihn einfach umgelegt. Die Schweine …«
Die letzten Worte gingen dann schon wieder in ein Schluchzen über, in krampfartiges Weinen. Sie warf die Zigarette weg und ging hinaus in den Schnee.
» Laaaars! O Gott, Lars! O mein Gott!«
Ihr Schreien jagte Krähen in den grauen Himmel.
5
G rewe hatte miserabel geschlafen. Die Platzwunde befand sich genau auf der Seite des Hinterkopfs, auf der er immer lag. Obwohl es nicht wehtat, konnte er sich einfach nicht überwinden, die Wunde auf das Kissen zu legen. Auf der linken Seite liegend, kollidierten seine Knie aber ständig mit Stinas. War er dann endlich fast eingeschlafen, registrierte sein Unterbewusstsein, wenn er sich auf die gewohnte rechte Körperseite zu drehen begann, und es riss ihn wieder aus dem Schlaf. Um fünf Uhr hatte er kapituliert und war aufgestanden. Er beschloss, die Zeit zu nutzen, und zog Joggingklamotten an, aber als Stina um halb sieben in die Küche kam, saß Grewe immer noch da, einen dampfenden Teebecher in der Hand und ein angebissenes Wurstbrot auf dem Teller. Er starrte auf die nicht aufgeklappte Zeitung.
» Schieb keinen Frust, du bist verletzt und hast kaum geschlafen, da verbietet sich Joggen aus ärztlicher Sicht sowieso.« Stina beugte sich zu ihm herunter. Sie gaben sich einen Kuss.
Stina am Morgen, diesen Anblick liebte Grewe seit dem ersten gemeinsamen Frühstück. Natürlich hatte die Zeit sie beide nicht ungeschoren gelassen, aber Stina war auch mit fünfundzwanzig schon genauso verknittert, verwuschelt und bademantel-filzpantoffelig in ihre kleine WG-Küche geschlurft wie heute in die große
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