Feindberührung - Kriminalroman
Teilnehmer ran.
» Lyske.«
» Hallo, Herr Doktor Lyske, hier Therese Svoboda.«
» Ah, hallo, Frau Svoboda. Sie rufen sicher wegen Herrn Grewe an.«
» Stimmt genau, ich hatte darauf gehofft, dass Sie noch am Ort waren. Mein Kollege war zu beschäftigt, um mir Auskunft zu geben.«
» Nichts Dramatisches. Herr Grewe ist gestolpert und im Fallen unglücklich mit einem Feuerschlauchkasten kollidiert. Stark ausblutende Platzwunde am Hinterkopf. Ich hab ihn erstversorgt und dann zum Nähen ins Heilig-Geist gebracht.«
» Denken Sie, er ist noch da?«
» Ich glaube schon. Die Ambulanz war rappelvoll.«
» Danke, Herr Doktor Lyske. Bis dann.«
» Ja, Wiederhören.«
Therese wählte Grewes Nummer. Mobilbox. Klar, Krankenhaus.
Sie schnappte sich ihre Jacke und machte sich auf den Weg.
Der Warteraum war immer noch voll, es roch nach Urin und Blut, eigentlich nur recht schwach, aber Grewe war in seinem Beruf zu oft mit diesen Gerüchen konfrontiert und nahm sie auch in schwächsten Konzentrationen sehr deutlich wahr. Es waren Gerüche, die er gar nicht mehr bewertete, sie bedeuteten nicht Ekel oder Angst, sie versetzten ihn einfach in einen Zustand der gespannten Aufmerksamkeit. Natürlich nahmen ihn Leichen mit, vor allem wenn sie schon lange lagen, » Stinker« wurden sie dann genannt. Bei Sektionen musste sich Grewe immer noch zusammenreißen, es erschien ihm jedes Mal unnatürlich, dass man einen menschlichen Körper einfach so aufschnitt und ausnahm. Aber es war Teil seiner Arbeit, und er hatte schon oft erlebt, dass erst der Rechtsmediziner genauen Aufschluss über eine Todesursache geben konnte, ja oft erst durch ihn sicher geklärt wurde, dass es sich bei diesem Tod um die Folge eines Verbrechens handelte. An die erste Sektion seines Lebens erinnerte er sich noch genau. Vor Betreten des Raums hatte ihn ein älterer Kollege am Arm genommen und gesagt: » Denk dran, das da drin ist kein Mensch mehr, alles, was ihn ausmachte, ist gegangen. Der Körper ist jetzt einfach eine Spur, unsere wichtigste. Wir behandeln ihn mit Respekt für das, was daran menschlich war, aber wir tun damit alles Nötige. Wir müssen herausfinden, was geschehen ist. Das ist unser Dienst an ihm und seinen Hinterbliebenen.«
Dann hatte der Kollege ihm Tigerbalsam unter die Nasenlöcher geschmiert, und sie waren durch die Tür gegangen. Als das Skalpell in die Bauchdecke schnitt, hatte Grewe geglaubt, in Ohnmacht zu fallen, aber es ging vorüber.
Durch die Arbeitsroutine machte Grewe der Aufenthalt in Krankenhäusern ohnehin weniger aus, als den meisten Menschen, aber das Heilig-Geist-Spital mochte er geradezu. Mit sieben oder acht Jahren war ihm hier der Blinddarm entfernt worden, und der Junge, zu dem er ins Zimmer gelegt wurde, hatte von seinen Eltern Playmobilritter geschenkt bekommen, die ersten Playmobilfiguren, die Grewe sah. Schon einen Tag später konnte der Nachbar nach Hause, und es blieb nur das Traumbild der bunten Figuren mit den silbernen Helmen und Schwertern, dem groben Tisch, an dem sie saßen und aus Pokalen tranken, während ein Ritter auf einer Posaune mit Fahne blies.
Diese Figuren waren sicher unglaublich teuer, und der kleine Kurt traute sich nicht, danach zu fragen, denn Geld war immer knapp in der Familie. Seine Mutter kam täglich vorbei, sein Vater musste arbeiten, und die Besuchszeiten wurden sehr streng gehandhabt damals. Doch am vierten Tag des Aufenthalts stand plötzlich Papa Grewe im Zimmer des Sohns und legte einen kleinen Karton aufs Bett. Das Glück, das ihn fast schmerzhaft durchfuhr, gemischt mit der aufkommenden Panik, das hier könne ein Irrtum oder Traum sein, würde Grewe niemals vergessen. Nur Stinas erster Kuss und ihr Heiratsantrag konnten später noch mal dieses Gefühl in ihm aufflammen lassen.
Der Vater und Kurt hatten die Ritter zusammen aufgebaut, und dabei streichelte der Vater ihm fortwährend über den Kopf. Er musste schon bald wieder gehen, er hatte nur eine Dreiviertelstunde Pause, und seine Arbeitsstelle war gut zehn Tramstationen vom Krankenhaus entfernt. Grewe fragte sich immer, woher sein Vater gewusst haben konnte, dass er sich die Ritter wünschte, er hatte sie ja nicht einmal gesehen. Es war ein Geheimnis, das Kurt Grewe mit seinem Vater verband und diesem lange den Nimbus eines Zauberers verlieh, der stets über seinen Sohn wachte und jede Gefahr von ihm fernhielt. Das hatte natürlich nicht ewig Bestand …
Grewe lächelte.
» Herr Grewe?«
Er öffnete die Augen, er
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