Feindberührung - Kriminalroman
ihren Gedanken nicht von der Hand zu weisen, aber eines war ihm in den Stunden in der Kaserne klar geworden: Falls die Junkietheorie sich nicht halten ließ, falls Rems prinzipiell in der Lage gewesen war, sich zu verteidigen – und anscheinend war er auch mit ordentlich Promille noch ein furchteinflößender Kämpfer –, dann hatte Radványi recht, und der Mörder war ein unglaublich gefährlicher Mensch. Stark, schnell und entschlossen. Und wahrscheinlich hatte er nicht zum ersten Mal getötet.
Sie hatten noch mal eine Nachmittagsbesprechung abgehalten, um die Erkenntnisse des Tages mit allen Ermittlern auszutauschen. Estanza und » Claudischatz«, wie Therese penetrant gesagt hatte, bis Grewe ihr unter dem Tisch gegen das Bein getreten war, brachten die Bestätigung für Samantha Rems’ Alibi, und zwar nicht nur von deren Schwester, die ja als Verwandte lügen durfte, sondern von einer gemeinsamen Freundin der beiden, die ebenfalls dort übernachtet hatte. Die Frauen waren bis etwa drei Uhr morgens in der Küche zusammengesessen und hatten Wein getrunken. Danach war der ungenauen zeitlichen Eingrenzung folgend, die sie anhand der Aussage von Konopke hatten, noch Spielraum. Aber nach Grewes und Thereses Bericht aus der Kaserne konnte niemand sich vorstellen, dass eine angetrunkene Frau in der Lage gewesen wäre, die Tat auszuführen.
Samantha Rems war so ziemlich raus aus der Show, das hatte jeder im Raum so empfunden. Markus Fuchs hatte noch einen kurzen Bericht von der Rauschgiftfront gegeben. Rems war dort unbekannt, wie er überhaupt polizeilich noch nie aufgefallen war.
Grewe nahm einen langen Zug aus der Bierflasche und schloss die Augen. Wie würde er all das aushalten ohne seine Frau und die Kinder, ohne den Schutz der gemütlich zugestellten Wohnung? Er spürte einen nassen Lappen auf seiner herabbaumelnden Hand.
» Oskar.« Grewe lachte und strubbelte dem riesigen Mischlingshund der Familie über den Kopf. Der drückte sich fest gegen Grewes Hand und ließ seine Zunge meterlang aus dem hechelnden Maul hängen. Grewe schaute auf die Uhr.
» Es ist noch viel zu früh für dein Gassi, mein süßer Stinker.«
Oskar guckte ihn an und hob abwechselnd die Augenbrauen. Konnte sein, dass es zu früh für die Nachtrunde war, aber es war doch eine gute Zeit für etwas Knabberkram vor dem Fernseher, eng an die ausgestreckten Beine von Herrchen gepresst?
Grewe stand auf und ging an den Fuß der Treppe, die zu den Kinderzimmern hochführte.
» Ich bin kurz mit Oskar bei der Videothek!«
Oben wurden fast gleichzeitig drei Türen aufgerissen.
» Gucken wir noch was?«, in drei sehr unterschiedlichen Stimmlagen.
» Aber nur im Schlafanzug und mit geputzten Zähnen, ist das klar?«
» Jippiiieh!« Wieder dreistimmig.
Grewe schlüpfte in seinen Wintermantel und schnappte sich die Hundeleine. Oskar sprang begeistert auf.
Manchmal konnte man die Welt so einfach in Ordnung bringen.
7
I ch darf euch den Kollegen Fritz Burckhardt vom K 15 , Organisierte Kriminalität, vorstellen.« Grewe wies mit der rechten Hand auf den sehr bulligen, fünfzigjährigen Kriminalhauptkommissar mit Walrossbart und grauem Pferdeschwanz. Es war ein Scherz, der mit wissendem Grinsen aus der gesamten Runde beantwortet wurde.
Alle kannten » Mafia-Fritze«, wie der O K- Chef allgemein hieß. Burckhardt war gebürtiger Hamburger, was man ihm deutlich anhörte, und hatte sich in seiner gesamten Kripolaufbahn mit Bandenkriminalität befasst. Vor gut zehn Jahren gab es hier zum ersten Mal ernsthafte Probleme mit organisierten Banden aus Osteuropa, und damals war Burckhardt sozusagen als Gastexperte in die Stadt gekommen; es gab gute Beziehungen zwischen dem Leiter der hiesigen Direktion und dem Hamburger O K- Chef. » Mafia-Fritze« hatte sich in die Gegend und eine ihrer Töchter verliebt und war geblieben. Seitdem gab es in der Direktion ein aus drei Sachbearbeitern bestehendes Kommissariat für deliktübergreifende und organisierte Kriminaltät.
» Tscha. Die Skulls.« Burckhardt schaute in die Runde.
» Vielleicht erst mal paar grundsätzliche Sachen über Rocker: Es gibt so ne und solche. Viele Motorradclubs sind harmlos, meistens mit älteren Mitgliedern, wohlhabend, die am Wochenende Easy Rider spielen. Gefallen sich in Kutten, sind aber gut erzogen, haben Dioptrien in den Sonnenbrillen und die Blutdruckmedikamente neben dem ADAC-Schutzbrief in den gut eingefetteten Satteltaschen.« Die Kollegen lachten.
» Dann gibt es die
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