Feindberührung - Kriminalroman
Der Käse begann zu schmelzen. Er wandte den Kopf nach hinten.
» Kinder! Abendessen!«
» Wir kommeeen!« Klara würde die kleine Herde schon in die Küche treiben, damit sie schnell an ihr Sandwich kam. Sie liebte kein Essen so wie geröstetes Graubrot mit etwas Olivenöl, Tomatenscheiben, Mais und geschmolzenem Käse. Grewe war glücklich, er hatte es so pünktlich nach Hause geschafft, dass er mit Stina sogar noch mal Tee trinken konnte, bevor sie zu ihrem Abendkurs in die Volkshochschule aufbrach. Kreatives Schreiben, der wörtlich übersetzte angloamerikanische Begriff hatte sich mit den Jahren in Deutschland durchgesetzt.
» Als wenn es unkreatives Schreiben gäbe«, sagte Stina oft.
Es war einer der vielen Stachel in Grewes Moralfleisch, dass er überzeugt war, nur sein Beruf mit den unmöglichen und unberechenbaren Arbeitszeiten sei schuld daran, dass Stina, anstatt selbst Bücher zu schreiben, Kurse darüber geben musste.
» Lauter nette und nahezu talentfreie Leute.« So beschrieb Stina die übergroße Mehrzahl ihrer Schüler. Sie versicherte ihrem Mann immer und immer wieder, dass sie gerne Kurse gab und mit dem gelegentlichen Schreiben von Artikeln für die örtliche Zeitung oder den Beiträgen für die Jahresanthologien von Autoren aus der Region durchaus zufrieden war. Aber die Wahrheit lag natürlich irgendwo dazwischen, und bei Ehestreitigkeiten sorgten Stinas Frustrationen und Grewes schlechtes Gewissen oft für Eskalation. Was sich Grewe am wenigsten gerne eingestand, war die Tatsache, dass er einen Bildungskomplex gegenüber Stina empfand. Sie hatte einen Abiturschnitt von eins Komma eins gehabt und ihr anschließendes Studium der Theaterwissenschaften und Germanistik in kürzester Zeit mit » sehr gut« abgeschlossen. Nach nur einem Jahr als Dramaturgieassistentin am Stadttheater war sie dort mit knapp siebenundzwanzig die jüngste Chefdramaturgin an einem deutschen Theater geworden.
Grewe hingegen war gerade so durch die Abschlussprüfungen gerutscht und hatte keine Uni besucht. Er gehörte zu den letzten Polizisten im gehobenen Dienst, die nicht in den Genuss des » Kommissarstudiums« gekommen waren, sondern sich aus der Bereitschaftspolizei hocharbeiten mussten. Mindestens Fachabitur war dafür Voraussetzung, aber keine Garantie, dass man es schaffte.
Als die Zwillinge unterwegs waren, hatte Stina am Theater gekündigt, weil sie es für illusorisch hielt, dass ihr Arbeitgeber in irgendeiner Weise auf die Bedürfnisse einer Mutter eingehen würde.
» Und selbst, wenn: Ich habe mir Muttersein nicht so vorgestellt, dass ich meine Kinder nur in den kurzen Phasen zwischen zwei Fremdbetreuungen sehe.« Stina hatte tatsächlich schon seit einiger Zeit erhebliche Schwierigkeiten mit dem cholerischen Intendanten des Theaters gehabt, und Grewe war Beamter, unkündbar und mit gutem Einkommen. Die Entscheidung fiel schnell und problemlos. Die Probleme kamen dann erst mit der Zeit.
» It’s a battered old suitcase, to a hotel or someplace and a wound, that will never heal. No primadonna, the perfume is on. An old shirt that is stained, whether it’s blood or whiskey …«
Tom Waits klang laut aus dem CD-Player in der Küche, Grewes Lieblingsmusiker. In den Texten seiner Songs fand Grewe die ganze Bandbreite seiner Gefühle für Stina wieder. Ja, ihre Beziehung war ein abgestoßener Lederkoffer, ohne den man keine Reise wagen konnte. Er hatte seine Zuverlässigkeit und Widerstandskraft schon tausendfach bewiesen, er schützte die lebenswichtigen Besitztümer vor jeder Beschädigung.
Stina war nie eine Primadonna gewesen, aber immer eine Frau, die gerade in Not und Gefahr zeigt, was in ihr steckt. Eine Löwin in Filzpantoffeln und Schlabbershirts. Die Flecken darauf warnten jeden Angreifer: Vorsicht, was du für Kaffeeflecken hältst, könnte auch das Blut des letzten Kerls sein, der meiner Familie etwas antun wollte, oder der Whiskey, den ich auf seiner Beerdigung getrunken habe …
Schlagartig verstummte die CD.
» Dem traurigen Mann darfste später wieder zuhören, Papa.« Robert konnte Tom Waits nicht ausstehen. Er war Hip-Hop-Fan.
» Okay. Ich habe hier zwei Salamibrote mit Senf sowie Cracker mit Fischcreme für unseren Gemüseverächter.« Grewe zeigte auf Roberts Teller.
» Daneben sehen wir zwei Scheiben Toast mit gesalzener Butter, eingerahmt von feinen Scheiben Salatgurke für Prinzessin Lotta.«
» Supidupi!«, kreischte das jüngste Mitglied der Familie Grewe.
» Wo willst du
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