Feinde kann man sich nicht aussuchen
Mitte der Bar, abgesondert von seinen Mit-Gästen, die Hände locker um
ein fast leeres Bierglas gelegt. Seinem hängenden Kopf und den eingesunkenen
Schultern entnahm ich, daß er seinen Feierabendtrunk doch nicht so genoß, wie
er es sich versprochen hatte. Er wurde jedoch ein bißchen munterer, als ich
mich auf den Hocker neben ihm setzte.
»Sie haben sich also doch noch
entschlossen, mir ein Bier zu spendieren.«
Ich nickte und streckte, als der
Barkeeper hersah, zwei Finger in die Höhe.
»Und? Fragen gestellt?«
»Verflixt wenige, wenn man bedenkt, daß
ich schon zehn Dollar für Informationen gezahlt habe.«
»Habe Ihnen ja gesagt, das ist eine
habgierige Stadt.«
Der Barkeeper stellte zwei Bier vor uns
hin und nahm die Scheine, die ich auf den Tresen gelegt hatte. Westerkamp
leerte sein Glas endgültig, schob es beiseite und griff nach dem neuen. »Wer
hat Ihnen denn den Zehner abgeknöpft?«
»Ein zigarrenrauchender
Muliwagen-Kutscher, der einen nicht angucken kann.«
»Robbie, der Junge von meiner
Schwester. Dieser kleine Gauner.«
Das erklärte die Reaktion des Kutschers
auf die Erwähnung von Westerkamp; als Neffe des Deputy nimmt man sich in acht —
aber man tut es nicht unbedingt gern. »Sie sind hier geboren?« fragte ich.
»Habe fast mein ganzes verdammtes Leben
hier zugebracht. Mein Daddy kam aus Missouri hierher, sobald die Kunde von den
Silberfunden bis dorthin durchgedrungen war. Er hat zwar kein Silber gefunden,
aber einen Saloon aufgemacht, was damals genauso gut war. Daddy hat spät
geheiratet, und bis ich groß war, war er schon tot. Ich war eine Weile weg —
Korea — und danach bei der Polizei in Reno, aber ich bin zurückgekommen, als
meine Mama krank wurde. Und dann... ich weiß nicht.« Er zuckte mit den
Schultern, die unter seinem Uniformhemd schmächtig wirkten. »Die Jahre sind
einfach vorbeigerauscht. Noch zwei, und ich werde pensioniert.«
»Und was wollen Sie dann tun?«
Er sah mich trübe an. »Um ehrlich zu
sein, ich habe keine Ahnung. Mir irgendeinen Zeitvertreib suchen, schätze ich.«
Die Jahre sind einfach vorbeigerauscht. Vielleicht würde ich eines Tages genau
wie Westerkamp auf vergeudete Jahrzehnte zurückblicken. Heute war mein
neununddreißigster Geburtstag; eigentlich hätte ich an diesem Abend mit Hy im
Zelda’s sein sollen und Champagner trinken und zu einer — vermutlich
herausragend miesen — Country-&-Western-Band tanzen und später dann
heimgehen und mich der Liebe hingeben. Statt dessen thronte ich auf einem
Barhocker in einer schäbigen Wüstenspelunke und trank wässriges Bier und
plauderte mit einem schwermütigen Gesetzeshüter. Großer Gott, würde das mein Leben sein?
Diese Frage hatte ich mir auch schon
gestellt, als ich in der Nacht vor der Explosion allein in dem Bett im
Moonshine Cottage gelegen hatte; jetzt überfiel sie mich auf eine noch
grundsätzlichere Art und Weise. Ich musterte mich in dem schlierigen Spiegel
hinter der Bar, sah die Furche zwischen meinen Augenbrauen, meinen fragenden
und ein wenig erschrockenen Blick.
Auf der einen Seite war dieses Leben
gar nicht so übel: Ich war niemandem Rechenschaft schuldig; ich ging dorthin,
wo mich die Ereignisse hinführten; wenn ich versagte, mußte ich es ganz allein
mit mir abmachen. Aber es hatte auch seine Schattenseiten: lange Strecken
totaler Einsamkeit, schierer Langeweile und — wie ich wiederholt hatte
feststellen müssen — realer Gefahr.
Beim Stichwort ›Gefahr‹ fiel mir wieder
ein, warum ich hier war. Dies war. kein Routine-Ermittlungsjob; ich war hierher
in die Wüste gekommen, weil ich entschlossen war, das Schwein zu finden, das
Anna umgebracht hatte — und eigentlich mich hatte umbringen wollen. Rache? Ja.
Meine lebenslange Obsession, die Wahrheit herauszufinden? Das auch. Dieses
Bestreben hatte mich immer getrieben und würde es immer tun. Und wenn das hieß,
daß mein Leben aus Nächten wie dieser bestehen würde, dann meinetwegen.
Ich richtete mich auf, prostete meinem
Spiegelbild in einem kleinen Geburtstagssalut zu und trank. Dann prüfte ich,
weil ich mir ein bißchen albern vorkam, ob Westerkamp es mitgekriegt hatte. Der
Deputy hing immer noch über dem Tresen und betrachtete stumm sein Bier. Aus der
Jukebox besang jetzt die Stimme meines Schwagers klagend die Schatten im Haus
der Liebe. Ich blendete Ricky aus und sagte: »Ich bin heute abend auf etwas
Merkwürdiges gestoßen.«
Westerkamp zog eine Augenbraue hoch und
wartete.
»Ein Haus aus lauter
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