Feinde kann man sich nicht aussuchen
Flaschen, in einem
ausgetrockneten Flußbett westlich der Stadt.«
»Leon Decks Haus.« Er nickte. »Was zum
Teufel haben Sie da draußen gemacht?«
»Ich bin Brenda Walker gefolgt.« Ich
erklärte es ihm kurz. »Wer ist Leon Deck?«
»Weiß der Himmel. So eine Art Künstler.
Ist vor vier, fünf Jahren hier aufgetaucht. Hat alle Mülltonnen in der Stadt
nach Flaschen durchwühlt und daraus das verdammte Ding gebaut. Weil er es
mitten in das alte Flußbett gesetzt hat, dachten wir alle, es würde ihm unterm
Hintern weggeschwemmt werden und er würde wieder verschwinden oder vielleicht
sogar ertrinken, wenn es eine plötzliche Flutwelle geben würde. Aber er ist
immer noch da, und die Leute haben sich an ihn gewöhnt.«
»Sie sagen, er ist Künstler?«
»Wer würde denn sonst so was bauen? Ich
weiß nicht, ob er tatsächlich irgendwas Künstlerisches macht, aber er zahlt
seine Rechnungen. Bleibt die meiste Zeit dort draußen und kommt nur, um
Lebensmittel zu kaufen und seine Post zu holen.«
»Ist er mit Brenda Walker befreundet?«
Westerkamp dachte nach. »Bezweifle ich
eher.«
»Und was ist mit T. J. Gordon? Hatten
die beiden je miteinander zu tun?«
»Nicht, daß ich wüßte, aber so wie
Gordon überall rumgestreunt ist, kann es schon sein, daß er Leon über den Weg
gelaufen ist.«
»Was glauben Sie, was Brenda Walker
dort draußen bei Deck wollte?«
Der Deputy betrachtete mich, die Augen
so leblos wie vorhin, als er über seinen Ruhestand geredet hatte. »Der Teufel
soll mich holen, wenn ich das weiß, aber dieses ungute Gefühl in meinem Bauch
wird immer stärker.«
12
Über mir kreiste ein rotschwänziger
Falke, die Schwingen perfekte Sichelbögen vor dem Wüstenhimmel. Das Licht
wirkte um neun Uhr morgens noch wie gefiltert; das Knirschen und Klicken der
Steine unter meinen Füßen, während ich mich durch die ausgetrocknete Flußsenke
auf das Flaschenhaus zubewegte, hallte in der fast völligen Stille. Obgleich
der Tag rasch heiß zu werden versprach, spürte und roch ich in der Luft einen
Hauch von Herbst. Herbst, und dann der harte, kalte Winter.
Ich trug Wanderkleidung und hatte meine
alte Nikkormat umgehängt. Die Kamera hatte ich von daheim mitgebracht, um ein
paar Farbfotos vom Lake Tufa zu machen, in der Hoffnung, daß eins davon gut
genug werden würde, um es vergrößern zu lassen und in meiner Diele aufzuhängen.
Jetzt benutzte ich sie zum selben Zweck wie so oft: um mich beim Observieren
als harmlose Touristin zu tarnen. Gut zwanzig Meter vom Haus blieb ich stehen.
Ich entfernte die Gummikappe vom Objektiv und nahm das seltsame Bauwerk ins
Visier.
Bei Tag sah es total bizarr aus: die
Glaskreise, von rohem Mörtel und Steinen verschiedenster Größe in ihrer
willkürlichen Anordnung gehalten. Das schräge Dach bestand aus überlappenden
Wellblechstücken; ein rostiger Herdabzug neigte sich bedenklich schief. Die Tür
auf der Frontseite war aus Brettern und Latten roh zusammengenagelt. Die
niedrige Steinmauer zog sich rings um das Grundstück, und dahinter ragten
seltsam geformte Objekte auf, die aus dem gleichen Material bestanden wie das
Haus — abstrakte Skulpturen vielleicht. Ich drückte ein paarmal auf den
Auslöser und ging weiter. An der Mauer angekommen, beugte ich mich darüber, um
ein letztes Foto von der größten dieser merkwürdigen Skulpturen zu schießen.
Aus dem Inneren des Hauses kam jetzt
ein Geräusch: ein hoher, unartikulierter Gesang. Irgendeine klassische Melodie,
die ich kannte, aber nicht zu benennen vermochte. Die Tür ging auf, der Gesang
wurde lauter und brach dann abrupt ab, als ein Mann herausguckte. Er war so
groß, daß er sich ducken mußte, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Aus seinem
Trägerhemd und den Shorts ragten dürre Arme und Beine; dunkle, verfilzte Locken
wallten bis über seine Schulterblätter herab. Er guckte blinzelnd in die Sonne
und runzelte die Stirn.
»Mr. Deck?« rief ich. »Leon Deck?«
Nach kurzem Zögern nickte er.
»Ich würde gern mit Ihnen über Ihr Haus
reden. Darf ich reinkommen?«
Er nickte wieder.
Die Mauer hatte keine Eingangsöffnung,
also kletterte ich darüber. Als ich mich Deck näherte, sah ich seine Augen:
dunkel und seltsam verschleiert. Drogen, dachte ich, wenn jetzt nicht mehr,
dann irgendwann früher zuviel davon.
Deck stand immer noch gebeugt in seiner
Tür, den verschwommenen Blick auf mein Gesicht gerichtet. Jetzt schlug mir sein
Geruch entgegen: nicht eigentlich streng, eher
Weitere Kostenlose Bücher