Feinde kann man sich nicht aussuchen
muffig, so, als müßte er mal
ordentlich gelüftet werden. Nach ein paar Sekunden drehte er sich um und winkte
mir, ihm zu folgen. Verwirrtheit und verzögerte Reaktion, weitere Anzeichen für
einen Drogenschaden.
Sobald ich eingetreten war, fühlte ich
mich wie auf dem Grund eines verdreckten Goldfischglases. Mich umfing trübes
grünbraunes Licht, ab und zu von blendend hellen Blitzen durchzuckt. Eine
flackernde Öllampe stand auf einem improvisierten Tisch in der Mitte des
langgestreckten Raums. Ich sah mich um und entdeckte noch weitere
Einrichtungsgegenstände, die vom Sperrmüll zu stammen schienen: ein
aufgeplatzter Sessel, aus dem die Innereien hervorquollen; eine schartige
Kommode, der zwei Schubladen fehlten; eine dreckige, verschlissene Matratze mit
einem zerlumpten Schlafsack darauf. In der einen Ecke stand ein klobiger,
fettverkrusteter Holzfeuerherd, auf dem sich dreckiges Koch- und Eßgeschirr
stapelte. Kein Strom, kein Telefon hier draußen in der Wildnis; kein fließendes
Wasser, obgleich ich bei der Anfahrt ein Grüppchen Tamarisken erspäht hatte,
was auf eine Quelle schließen ließ.
Leon Deck hatte noch kein Wort gesagt.
Er drehte die Flamme der Öllampe höher, ging zu dem Sessel hinüber und ließ
sich nieder. Ich entdeckte einen kaputten rohrgeflochtenen Hocker und zog ihn
heran. Als ich mich hingesetzt hatte, betrachtete mich Deck ohne jede Neugier.
Ich sagte: »Mich interessiert ihr Haus,
Mr. Deck. Wie lange haben Sie gebraucht, um es zu bauen?«
Es dauerte ein Weilchen, bis er den
Mund aufmachte. Dann sagte er mit derselben hohen Stimme, mit der er vorhin
gesungen hatte: »Die Flaschenböden? Die lassen das Licht rein. Die Hälse? Die
sperren das andere aus.«
Das war zwar nicht direkt eine Antwort,
aber immerhin hatte er überhaupt etwas gesagt. »Sie meinen, sie halten die
Kälte ab? Und die Hitze?«
Er runzelte die Stirn, als fände er
diese Frage über alle Maßen dumm. »Ich seh nämlich Sachen.«
»Ach?«
»Die dürfen nicht rein.«
»Was darf nicht rein?«
»Brechung und Verzerrung.«
»Was ist damit?«
»Schwächt ihre Macht.«
»Wessen Macht?«
»Ich seh Sachen.«
»Mr. Deck —«
»Ich hab nämlich Geheimnisse.« Jetzt
waren seine Augen plötzlich klarer, als hätte sich ein Relais in seinem Kopf
umgelegt. Sie blitzten verschlagen.
»Was für Geheimnisse?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf, und ein Lächeln
entblößte lückenhafte und abgeschlagene Zähne. »Sie sagen, eine rot angezogene
Diebin kommt und will mir meine Geheimnisse stehlen.«
»Wer sagt das?«
Er lächelte nur.
»Wer sagt —«
»Ich hab Geheimnisse.«
»Mr. Deck —«
»Ich weiß nämlich, wer Sie sind.«
»Und wer bin ich?«
»Die rot angezogene Diebin.«
Ich sah an mir herunter, um mich zu
vergewissern, daß ich mein gelbbraunes T-Shirt trug. Dieses Gespräch — wenn man
es so nennen konnte — drohte mich genauso verrückt zu machen, wie dieser Leon
Deck es war.
»Sie sagen, eine rot angezogene Diebin
kommt.«
»Ich habe nichts Rotes an.«
»Heute nicht.«
»Ich bin keine Diebin.«
»Und will sie mir stehlen.«
»Mr. Deck, ich will Ihnen überhaupt
nichts —«
»Ich muß aufpassen.«
»Ich bin nicht hier, um —«
»Sie kriegen sie nicht!« Er sprang auf,
jetzt sichtlich erregt und heftig atmend.
Ich erhob mich rasch und wappnete mich
gegen einen Angriff. Decks Hände waren zu Fäusten geballt; er war kurz vor
einem Hyperventilationssyndrom. »Sie können Ihre Geheimnisse behalten, Mr.
Deck«, sagte ich. »Sie können sie ja behalten.«
Meine Worte vermochten ihn nicht zu
beruhigen. Er kam mit erhobenen Fäusten auf mich zu. Ich duckte mich weg und
retirierte zur Tür.
»Sie werden wiederkommen«, keuchte er.
»In der Nacht. Rot angezogen. Um mir meine Geheimnisse zu stehlen.«
Ich stieß die Tür auf und flüchtete
hinaus ins Freie. Leon Deck kam mir nach und blieb dann stehen.
»Fressen für die Kojoten«, sagte er.
»Was?«
»Ich seh nämlich Sachen.«
Diese verrückte Konversationsspirale
begann von neuem. » Was sehen Sie?«
»Ich seh Sachen.«
» Was sehen Sie? «
»Ich seh Kojoten. Sie fressen den
Augustmann. Fressen sein Fleisch und seine Knochen.«
»Wer -«
Deck schloß die Tür. Ich konnte ihn
durch das Holz keuchen hören.
Auf der Rückfahrt in die Stadt ließ ich
Decks irres Gerede immer wieder Revue passieren. Ich wiederholte es laut, als
könnte der Klang einen Sinn enthüllen. Und ich merkte, daß es tatsächlich so
etwas wie einen
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