Feindesland
Hafenwände. Unsere Wachleute decken sie vom Geschützturm aus mit Kugeln aus den Luftgewehren ein. Die spitzen kleinen Kügelchen treffen sie am Kopf, an der Wange, an den Augen, im Schritt. Einige taumeln, doch die ersten brechen durch und stampfen mit Ambosswangenknochen und barbarischen Augen keulenschwingend auf das Gebäude zu.
»Ja, durchaus, es ist eine friedliche Gegend«, sagt Caterinas Vater, der Studienrat.
Hartmut steht fassungslos da, Veith entschuldigt sich unablässig und weiß nicht, wie das passieren konnte. Als die ersten paar Schläger die Mitte des Hofes erreicht haben, öffnen sich die Garagentore, und acht orgelpfeifengroße Auspuffrohre schieben sich unter ohrenbetäubendem Motorenlärm auf den Hof. Die Rohre kleben an einem Monstertruck, der auf zwei Meter hohen Rädern rollt und dessen Chassis von einem alten amerikanischen Pick-up stammt. Am Steuer des lärmenden Ungetüms sitzt Cevat. Hinten auf der Ladefläche stehen sein Bruder und Faruk sowie unser erfolgreich in die Gesellschaft reintegrierter Ex-Gangster Samir mit drei vollgeladenen Hochdruckwassergewehren. Sie rufen »Feuer« und beschießen die braune Brut mit einem Gemisch aus Altöl, aussortierter Lackierfarbe und weiteren Stoffen, die ich weder benennen kann noch will. Die Barbaren rutschen aus, fallen übereinander und bekommen das schmierige, nie mehr abzuwaschende Gemisch in die Augen, die Ohren und ihre blöden Fressen. Derweil prasselt immer noch der Kugelhagel der Luftgewehre auf sie ein. Hartmut japst wie jemand, der beim Konzert gern ganz nach vorne ginge, aber nicht weiß, ob seine Frau ihm das übel nähme, wirft dann aber sein Jackett ab, krempelt sich die Arme hoch und stürzt nach draußen. Ich stürze mit. Höchstpersönlich laufen wir auf die im Ölmatsch strampelnden Nazis zu, während hinter uns der Monstertruck bedrohlich knurrt wie ein mietshausgroßer Saurier. Der Nazi mit dem Schnauzer greift zu seinem Knüppel, der ihm aus der Hand gefallen ist, aber Hartmut tritt ihn einfach weg und zieht den Mann am Kragen hoch, obwohl er eigentlich viel kräftiger ist und obwohl Hartmut sich damit auf ewig die Klamotten versaut. Als er den Mann auf den Füßen hat, würgt er ihn mit seiner eigenen Jacke und drückt ihn dabei wieder runter, so dass sich sein Rückgrat nach hinten durchbiegt. Unsere Männer auf dem Geschützturm sowie die Brut des Schnauzbärtigen stellen ihre Kampfhandlungen ein, da die Häuptlinge der beiden Stämme sich nun gefunden haben.
»Ich bekomme ein Kind!!!«, schreit Hartmut den Mann an, so heftig und so laut, dass es mir in den Ohren weh tut und Hartmuts Eltern noch hinter dem Plexiglas zusammenzucken. »Ein Kind, verstehst du das?? Die Zeit der Spielchen ist vorbei!!! Ja, ich habe vielleicht alle Theorien dieser Welt gelesen anstatt derweil im Studio Muskeln zu pumpen oder mich hinterm BFC-Stadion zu prügeln, aber ich sage dir eins, und ich sage es dir nur einmal: Wer meine Familie angreift, den bringe ich um, egal, ob Russe, Türke oder deutscher Herrenmensch. Ich bringe ihn um! Hast du das verstanden???«
Der Mann ist zu erstaunt, um irgendetwas anderes zu erwidern als ein wortloses Nicken. Kein Wunder. Er ist bis ins letzte Loch verklebt mit Schmieröl und Farbe, hat ein geschwollenes Auge, in das fast eine Luftgewehrkugel eingedrungen wäre, und erlebt das erste Mal im Leben die Gegenwehr, die sich aus der einzigen Kraft speist, die in dieser Welt ganze Horden besiegen und Bäume ausreißen kann — der Kraft eines Mannes, der seine Sippe beschützt.
So einfach ist das.
Die Nazis ziehen ab, die Riesenpfütze aus Öl und Farbe auf dem Hof wird uns viel Arbeit machen, unsere Familienmitglieder kommen sprachlos aus dem Haus gelaufen, und der Monstertruckmotor gluckert so leise wie bösartig nach.
Hartmut dreht sich um, Cevat schaltet den Motor aus. Hartmut fragt: »Wo habt ihr denn den gebaut?«
»Geheimprojekt«, sagt Samir. »Auftragsarbeit für Hustler Hassan.«
»Wer ist denn das nun wieder?«
»Der Konkurrent von Mr. Lifter, diesem Rapper mit den zwei Millionen Minuspunkten im BürgerVZ. Hassan will ihn übertrumpfen. Mit diesem Schlachtross dürfte es ihm gelingen.«
Caterinas Eltern schütteln fassungslos den Kopf in ihren guten Ausstellungsklamotten auf unserem Hof, kurz nach einer barbarischen Schlacht, zwischen einem Geschützturm mit Personal und ein paar türkischen Jungs mit Hochdruckgewehren, aus deren Läufen immer noch Ölschmiere ungefiltert auf den vom Büro für
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