Feindesland
Übung stehen sie mitten in Herrn Changs behaglichem Raum im halbaufrechten Stand, Füße leicht gespreizt, Arsch raus, in den Knien federnd und den Beckenboden loslassend.
»Ja, sehr gut«, unterstützt Herr Chang sie mit der ruhigsten Stimme, die je ein Mensch für eine Tätigkeit wie Anfeuern benutzt hat.
Ich stehe derweil im T-Shirt auf der Veranda und blicke über den Wannsee und seine grünen Ränder. Es könnte genausogut ein See in Kanada sein, so frei und gut und anders fühlt sich alles an. Wir haben keine Schulden mehr, besitzen eine blühende Firma mit modernem Konzept, haben jeder einen eigenen Schreibtisch, und da drinnen bereiten sich Hartmut und Susanne auf die Geburt des ersten Kindes unserer Wohngemeinschaft vor. So weit sind wir gekommen. Und morgen kommen unsere Eltern.
Ich rufe Caterina an, um zu hören, was sie sich ausgedacht hat.
»Stör mich jetzt nicht, Schatz, sie haben schon angefangen mit dem Aufrämen!« »Wer sind denn sie}«
»Zwanzig zurzeit arbeitslose Putzfrauen. Zehn Schreiner. Zwei Spediteure. Ich habe halt Hilfe bestellt. Wir haben eine Firma. Susanne bekommt ein Kind. Das Fernsehen dreht Beiträge über uns. Wir müssen uns nicht mehr selber damit herumschlagen, in 24 Stunden ein Haus elternfähig zu machen.«
Ich lächele.
Der See glitzert. Sie hat recht.
Wir sind an der Stelle angekommen, an der man Aufgaben an andere abgeben kann. Noch vor wenigen Monaten waren wir verschuldet. Da sage noch mal einer, der Spruch »So schnell kann's gehen!« dürfe nur negativ gedeutet werden.
»Wo hast du die 20 fleißigen Putzfrauen denn so schnell her?«
»BürgerVZ«, sagt Caterina. »Beruf, aktuelles Beschäftigungsverhältnis, Vorlieben, Mobilfunknummer - das steht ja alles drin.«
Ich schlucke.
»Eigentlich ist es furchtbar«, sage ich.
»Das ist es«, sagt sie, »aber dafür ist morgen das Haus elternfertig.«
Ich nicke. Bevor ich zum Abschied »Miu miu« sagen kann, holt Caterina noch mal Luft und sagt: »Und dass du schon in der fünften Klasse mit dieser Cornelia angebandelt hast, hättest du mir auch ruhig erzählen können!«
Ich glaube, ich muss dringend mal mein Profil im BürgerVZ kontrollieren.
»Ist das schöööön«, rufe ich aus der Badewanne, während Hartmut, Susanne und Caterina bereits in schicker Kleidung zwischen Wohnzimmer, Küche und Kinderzimmer umherlaufen, Kerzen anzünden und Sektgläser füllen. In einer Stunde treffen unsere Eltern ein. Die insgesamt 32 durch BürgerVZ aufgetriebenen Helfer haben den kompletten Wohntrakt in eine ansehnliche Wohnung verwandelt. Jeden Raum könnte man als Musterzimmer in einem Möbelhaus ausstellen. Der riesige Wohnraum ist durch eine neue Wand in zwei Zimmer geteilt. Die Küche ist immer noch ein kleiner Schlauch, aber ein Schlauch mit Steinspüle und Schrankverkleidungen im Landhausstil. Im Bad wurde eine Wanne montiert samt Brettchen für meine Badezusätze. Es ist kaum zu fassen, was 32 Menschen in nur einem Tag schaffen können, wenn sie nichts anderes nebenher tun und großzügig bezahlt werden. Vier Menschen, die berufstätig sind und die Renovierung »irgendwie nebenbei« angehen, brauchten dafür vier Jahre.
»Wir verstehen ja, wie schön das für dich ist«, ruft Caterina, »aber so langsam solltest du aus dem Wasser kommen.«
Ich sage »Sofort!« und stehe nur 36 Minuten später im Bademantel neben der Wanne, die gurgelnd das Schmutzwasser wegschlürft. Kaum habe ich den Frotteegürtel geknotet, geht schon die Türklingel.
Auch die Verpflegung haben wir ausgelagert. Eine Catering-Firma hat um 19 Uhr das reichhaltige Büffet im Wohnzimmer aufgebaut, an dem sich nun Hartmuts Eltern, Caterinas Eltern und die Mütter von mir und Susanne bedienen und dabei so viel miteinander reden, dass der Plauderteppich dichter gewoben ist als die Menschenströme in einer Langzeitaufnahme des S-Bahnhofs Friedrichstraße zur Rushhour. Unsere Eltern sind sich zwar alle schon mal begegnet, aber wirklich miteinander zu tun hatten sie bislang nicht. Caterinas Eltern schweben als Bad Homburger Bildungsbürger über allen. Meine Mutter wohnt zwar im zehnten Stock eines Hochhauses, ist aber vom sozialen Stand her das Gegenteil von oben. Sie kennt Hartmuts Eltern seit den Tagen unserer Schulzeit von Elternabenden oder gelegentlichen Zufallstreffen auf Stadtfest und Kirmes, aber sie hat nie viel mit ihnen geredet. Ist ja kein Wunder, sie redet ja ohnehin kaum, auch heute nicht. Dafür sorgt Susannes Mutter allerdings
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