Feindgebiet
tragen konnte. ›Ibn Bakr würde in jedem Kampf-Livie einen vorbildlichen Infanterie-Superhelden abgeben‹, dachte Alex. ›Besser noch den First Sergeant des Helden.‹ »Mr. Kilgour«, sagte der Koloss. ›Verdammt noch mal! Der Kerl kann sogar sprechen!‹ »Ich möchte mich freiwillig für das Komitee melden.« Das Wort »Flucht« wurde von keinem Gefangenen unnötig in den Mund genommen. Darauf stand sogar Prügel.
»Wir nehmen dich auf, Kamerad«, sagte Alex herzlich. In seinen kühnsten Träumen stellte er sich vor, noch drei solcher Kerle vom Kaliber des Sergeanten zu finden; dann würde sie nichts daran hindern, die Turmspitze abzureißen und mit ihr als Rammbock sämtliche Tore plattzuwalzen. »Für einen so wackeren Kerl wie Sie haben wir immer Verwendung. Zum Graben … Schleppen … Einen, der die Welt auf seinen Schultern tragen kann.«
»Ahm … Mr. Kilgour, eigentlich hatte ich nicht an so etwas gedacht.«
Alex’ Träume lösten sich in Rauch auf. »Wie bitte?« »Ich nehme an«, fuhr Ibn Bakr fort, »dass wir die Uniformen abändern müssen, um eher wie Zivilisten auszusehen; die Anzüge der Bewacher umarbeiten und das alles, oder nicht?«
»Was? Sie wollen sich doch nicht etwa als Näherin bei uns bewerben?«
»Haben Sie damit etwa Probleme?« Der Schinken, der am Ende von Ibn Bakrs Unterarm baumelte, verknotete sich zu einer Faust.
Kilgour wusste, dass der Sergeant selbst für einen Schwerweltler wie ihn eine ziemliche Portion war, und riss sich zusammen. »Aber keineswegs, Kamerad, keineswegs.«
»Ich kann Nadelspitze, Stricken, Crewelstickerei, Perlstich, Kreuzstich, Federstich, Spitzen, Häkeln, Kräuseln, Englische Stickerei –«
»Danke, das reicht völlig aus, Sergeant. Ich bin entsetzt … nein, das ist nicht das richtige Wort … ich bin regelrecht erschlagen von Ihren Talenten. Halten Sie sich bereit. Es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir genug Material für Sie zusammen.«
Der Sergeant salutierte und ging.
Kilgour blickte ihm lange nach und seufzte schwer.
Am Abend wurden die Imperialen Gefangenen von einem unerwarteten Appell überrascht. Nachdem sie sich beim Heulen der Sirenen versammelt und durchgezählt hatten, standen sie abwartend im Innenhof, blickten auf die fünf Meter hohen Metallplastik-Kisten und fragten sich, was sich die Tahn da wohl wieder ausgedacht hatten.
Lagerkommandant Derzhin hatte die Zahlen von Colonel Virunga entgegengenommen und ihm gesagt, dass er etwas mitzuteilen habe. Seine Mitteilung war kurz und schockierend.
»Gefangene! Die Tahn finden Ihre Arbeit akzeptabel.«
›Verdammt‹, dachte Sten. ›Es wird Zeit, dass unser Sabotageprogramm in Kraft tritt.‹
»Als Belohnung habe ich veranlasst, dass Ihnen die Päckchen der Gefangenenhilfe-Organisation übermittelt werden. Das ist alles. Colonel Virunga, Sie können Ihre Leute wieder übernehmen.«
Virunga salutierte wie in Trance.
Den Gefangenen erging es nicht viel besser.
»Ich wusste gar nicht, dass es diese Päckchen überhaupt gibt«, murmelte jemand stellvertretend für alle.
Sten wusste sofort, worum es sich dabei handelte. In den inzwischen über drei Jahren seiner Gefangenschaft hatte nur ein einziges Mal ein gutmütiger Lageroffizier – der daraufhin sehr schnell zu einer Kampfeinheit versetzt wurde – solche Päckchen verteilt.
Die »Gefangenenhilfe« war eine neutrale Gesellschaft unter der Schirmherrschaft der scheinbar neutralen Manabi, die sich dafür einsetzte, Kriegsgefangenen auf beiden Seiten zu einigen Grundrechten zu verhelfen, ihnen ein wenig Trost und vor allem etwas Verpflegung zukommen zu lassen. Die ersten beiden Ziele der Gesellschaft wurden von den Tahn ignoriert, letzteres jedoch sehr gefördert. Jedes Päckchen enthielt ergänzende Rationen, Vitamine, Mineralien und Ersatzkleidung für zehn Gefangene. Sten fragte sich, ob den freundlichen alten Damen – jedenfalls stellte er sie sich so vor – bewusst war, dass nur die wenigsten Schals, Handschuhe und Leckerbissen in den Päckchen ihre rechtmäßigen Adressaten erreichten. Wenn die Päckchen nicht gleich in das Truppenversorgungssystem der Tahn eingespeist wurden, sorgten die Lageraufseher und Wachen dafür, dass die Gefangenen sie niemals zu Gesicht bekamen. Das einzige Päckchen, das Sten gesehen hatte, war sorgfältig durchsucht und geplündert worden, bevor es die Tore zum Lager passieren durfte.
»Essen«, flüsterte einer.
Die Formation wankte einige Schritte nach vorne.
Bevor sich
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