Feindgebiet
seine angetretenen Soldaten zu unüberlegten Plünderungen hinreißen ließen, kam Virunga gerade rechtzeitig wieder zu klarem Verstand.
»Formation! Achtung!«
Die militärische Disziplin gewann wieder die Oberhand zumindest für einen Augenblick.
»Drei Freiwillige … Päckchen verteilen. Cristata … Kilgour … Horatio!«
Laienprediger Cristata murmelte etwas vor sich hin, kam jedoch zu dem Schluss, dass dieser Auftrag annehmbar sei, und watschelte los. Sten und Alex folgten ihm.
»Sir«, sagte Sten. »Ich bitte darum, dass –«
Virunga unterbrach ihn. »Sehr richtig … vergessen … Aufgabe. Noch einer! Sergeant Major Isby!«
Der Versorgungsspezialist humpelte auf seinen Krücken zu Virunga hin. In einem Zeitalter, in dem nur sehr wenige Verwundungen als dauerhaft angesehen wurden, war Isby ein Mann mit nur einem Bein. Dass er dieses Bein aufgrund von medizinischer Schlamperei verloren hatte, war nur eine weitere Ungeheuerlichkeit, die man den Tahn ankreiden konnte. Man konnte sie allenfalls mit einem kriegsbedingten Versehen entschuldigen. Für die Tatsache, dass man ihm bislang kein neues Bein verpasst hatte, gab es jedoch keine Entschuldigung. Die einzigen Kriegsverbrecherprozesse, mit denen die Tahn rechneten, würden ohnehin unter ihrem Vorsitz stattfinden.
»Rest … wegtreten! Verteilen … Päckchen … zwei Stunden.«
Die Formation löste sich auf, doch keiner der Gefangenen verließ den Hof. Alle wollten zusehen, und zwar sehr genau, auf welche Weise die Päckchen aufgeteilt wurden. Zumindest drei der »Freiwilligen« genossen das Vertrauen der Gefangenen mehr oder weniger.
Sten blickte Alex an und nickte. Alex würde Colonel Virunga zur Seite nehmen und ihm eine überaus interessante Information zukommen lassen, die Alex und Kilgour vor dem Krieg mit den Tahn bei ihrer Ausbildung bei Mantis gelernt hatten. Wenn diese Information noch immer gültig war, konnten sich diese Päckchen als äußerst nützlich erweisen.
Sten baute ganz fest auf die Unerschütterlichkeit der Hinterlist, salutierte vor Virunga und ging eilig davon. Er hatte jetzt wirklich anderes zu tun.
Die beiden Aufseher schnauzten Sten an. Er hielt sich wohlbedacht zurück, woraufhin sie die Zellentür öffneten und ihn erneut anschnauzten. Einen Augenblick später kam St. Clair heraus und blinzelte ins Licht; sie torkelte nicht und stolperte nicht, sondern trat aufrecht heraus. Ihre Verletzungen waren in den Monaten der Isolationshaft weitgehend verheilt. Aufgrund der Diät von Wasser und halbierten Rationen war sie noch dünner als zuvor geworden, doch Sten fiel sofort auf, dass sie in ihrer beengten Einzelzelle eine Art von körperlichem Training durchgeführt haben musste.
»Beim nächsten Mal ergeht’s dir noch dreckiger«, sagte der Tahn.
»Ein nächstes Mal wird es nicht geben«, antwortete St. Clair. Der Aufseher schlug die Zellentür knallend zu und schob die Frau den Korridor hinunter.
St. Clair blieb vor Sten stehen. »Mein Begrüßungskomitee?«
»Wenn Sie es so nennen wollen«, sagte Sten.
»Was ist denn inzwischen in der großen weiten Welt passiert?«
»Nicht sehr viel Spannendes.«
»Dann ist der Krieg also immer noch nicht vorbei. Wo wir gerade davon sprechen: weshalb sprechen Sie mich nicht mit meinem Rang an, Feuerleitschütze?«
»Entschuldigung, Captain.«
»Schon gut. Ich habe nur bis obenhin die Schnauze voll von diesen verdammten Heinis. Vielen Dank fürs Abholen. Aber jetzt würde ich zu gerne wissen, ob die Duschen noch funktionieren.«
Sie befanden sich in einem abgelegenen Teil des Korridors.
»Zuerst müssen wir uns über etwas anderes unterhalten«, sagte Sten.
»Schießen Sie los.«
»Sie wollten solo ausbrechen. Eine richtige Cowboy-Aktion.«
»Und?« »Das geht jetzt nicht mehr. Jeder Fluchtversuch muss beim Komitee angemeldet und dort abgesegnet werden.« »Meine nicht«, erwiderte sie. »Komitees versauen alles.
Komitees zetteln Kriege an. Ich bin mir Gesellschaft genug.« »Das steht nicht zur Debatte, Captain. Das ist ein Befehl.« St. Clair lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Und Sie sind Big X!« »Erraten.« »Freut mich, Sie kennen zu lernen. Aber wie schon gesagt –« »Hören Sie mir genau zu, Captain. Ganz genau. Mir ist es scheißegal, ob Sie einen weiteren Alleingang unternehmen oder nicht. Jeder, der einen Weg heraus aus diesem Sarg findet, hat meinen Segen. Aber ich werde davon unterrichtet und gebe meine Zustimmung – bevor Sie sich auf die Reise
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