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Feindgebiet

Titel: Feindgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Cole & Chris Bunch
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berichteten ihm alles, was in der Lagerhierarchie vor sich ging. Es gab viele eilig und geheim einberufene Sitzungen und viel Geflüster mit anderen Tahn über die Nachrichtenkanäle. Virunga spürte, dass sich da eine ernste Krise zusammenbraute. Und dann hörte es auf, gerade in dem Moment, als er erwartete, das Eitergeschwür würde zerplatzen. Eine eigenartige, düstere Stimmung lag über dem Lager, die jeden Tahn, von ganz oben bis ganz unten, erfasst hatte. Die Gefangenen wunderten sich über die plötzlich vergleichsweise lockere Umgangsweise, gerade so, als würde man sie vorsichtiger behandeln, mit einem leisen Hauch von Respekt. Virunga war sicher, dass etwas Entscheidendes geschehen war. Ein gewaltiges Ereignis, das er später in den Geschichtsbüchern finden würde – einmal angenommen, er überlebte. Aber niemand hatte die geringste Ahnung davon, worum es sich handelte. Auch die Tahn nicht.
    Als die Tür zum Büro des Kommandanten aufgerissen wurde, wollte sich Virunga mühsam in Habachtstellung aufrichten. Ein Aufseher mit eiskaltem Gesichtsausdruck nickte seinen beiden Kollegen zu, die links und rechts von Virunga standen. Etwas Hartes schlug Virunga in die Seite; der Schmerz nahm ihm beinahe die Luft. Er verbannte den aufkeimenden Zorn aus seinem Gesicht, stellte die Krücken vor sich und stemmte sich hoch. Dann verlagerte er sein Gewicht, riss die Krücken nach vorne und stützte sich voll auf sie. Er schwang seinen Körper zur Tür hin, als würde er den Aufseher nicht einmal sehen. Es war nicht die eindrucksvolle Körpermasse, sondern die schiere Wucht von Virungas immenser Würde, die den Aufseher zur Seite treten ließ.
    Die Atmosphäre im Zimmer wirkte auf gezwungene Weise entspannt. Avrenti lümmelte in einer Ecke in einem Sessel, offensichtlich mit einigen weniger wichtigen Papieren beschäftigt. Kommandant Derzhin stand mit dem Rücken zu Virunga am Fenster und blickte nach draußen, als gäbe es dort etwas einigermaßen Interessantes zu beobachten. Virunga blieb mitten im Zimmer stehen. Er sah weder nach links noch nach rechts und verriet auch sonst nicht, dass er seinen verkrüppelten Körper gerne auf einen Stuhl gesetzt hätte. Er stand einfach da, auf die Krücken gestützt, und wartete schweigend darauf, dass das Spiel seinen Anfang nahm.
    Nach geraumer Zeit drehte sich Derzhin vom Fenster weg. Er tat so, als nehme er Virungas Anwesenheit erst jetzt wahr.
    »Ah, Colonel. Schön, dass Sie so rasch gekommen sind.«
    Virunga gönnte ihm nicht das Vergnügen, darauf zu antworten.
    Doch Derzhin schien das nicht aufzufallen. Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber und setzte sich. Er nahm einen Ausdruck in die Hand, las ihn aufmerksam durch und legte ihn wieder zurück. Er trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, als würde er sich nicht mehr genau erinnern, weshalb er Virunga zu sich bestellt hatte.
    »Ich habe einige Informationen hinsichtlich der … äh, sagen wir, der verlorenen Angehörigen Ihres Kommandos.«
    Ohne es zu wollen, versteifte sich Virunga. Es kam ihm vor, als wäre plötzlich ein eisiger Wind unter das dichte Fell auf seiner Wirbelsäule gefahren. »Ja?«
    Er wusste selbst nicht, ob er imstande war, mehr zu sagen.
    »Vergeben Sie mir, Colonel, aber ich sehe mich gezwungen, Ihnen schlimme Nachrichten zu übermitteln. Sie wurden geschnappt. Jeder einzelne von ihnen.«
    Virunga seufzte leise. Er fühlte sich direkt ein wenig erleichtert. Dann war es also vorbei. Gut, sie waren geschnappt worden. Jetzt musste er sich ihrer korrekten Behandlung versichern.
    »Ich … möchte … sie sehen. Sofort. Mich vergewissern … dass sie … behandelt werden … dem Kriegsrecht entsprechend.«
    Aus dem Augenwinkel sah er Avrenti feixen.
    »Ich fürchte, das ist nicht möglich, Colonel«, sagte Derzhin.
    »Sie … weigern sich?«
    »Aber nein. So grausam würde ich niemals sein. Es ist nur so, dass es nicht mehr viel zu sehen gibt. Sie sind alle tot.«
    Virunga spürte, wie er hörbar die Luft anhielt. Seine beiden Herzen pochten wie Trommeln. Der plötzliche Druck dröhnte in seinen Ohren. »Was? Tot? Wie kann denn –«
    Rufe dröhnten vom Hof herein. Zuerst waren es nur einige Stimmen. Dann wurde das Rufen lauter, ängstlicher und wütender zugleich. Derzhin lächelte ihn an und winkte ihn heran. Kurz darauf stand Virunga auf die Krücken gelehnt am Fenster und blickte hinaus. Zuerst erkannte er nur einen Haufen Gefangener, die um etwas herumschwirrten, das mitten auf dem

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