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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Mörder war.
    Zu dieser Erkenntnis war sie aus zweierlei Gründen gelangt: Zum einen war sie jetzt, nachdem sie das Mäntelchen ihrer eigenen Unschuld abgeschüttelt hatte, eher in der Lage, die Unschuld anderer zu erkennen; zum anderen wies all das an Rosies Erzählung, was die Polizei zu der Überzeugung veranlaßt hatte, daß Yapp schuldig war, ihrer Ansicht nach genau in die entgegengesetzte Richtung. Daß Yapp ihr in ihrem eigenen Blumengarten einen leidenschaftlichen Vortrag über ihre Schandtaten als ausbeuterische Arbeitgeberin gehalten hatte, während Willys Leiche im Kofferraum des alten Vauxhall verweste, sprach für geisteskranke Tollkühnheit oder für absolute Unschuld. Und auch nur ein Vollidiot wäre zur Witwe eines Zwerges, den er soeben ermordet hatte, mit dem Blut seines Opfers auf Hemd und Händen zurückgekehrt. Obwohl Emmelia aufgrund der kurzen Begegnung bereitwillig zugegeben hätte, daß Yapp sehr wohl ein Vollidiot war, hatte er auf sie nicht den Eindruck gemacht, als sei er wirklich schwachsinnig.
    Dazu kam, daß Rosie trotz detaillierter Anweisungen seitens der Polizei hartnäckig darauf beharrte, daß Yapp nie mit ihr im Bett gewesen war.
    »Nein, Mum, als ich ihm Extras anbot, lehnte er sie ab«, sagte sie. Emmelia hatte eine Weile gebraucht, bis sie herausfand, was Extras waren. Nachdem sie dahintergekommen war, woher Rosie diesen Ausdruck hatte, rief sie die Eheberatungsstelle an und ließ sich in aller Deutlichkeit und Schärfe darüber aus, was für fatale Folgen es haben konnte, wenn man die Leute zu außerehelichem Sex animierte, wie man es dort nannte, oder schlichtweg zu Ehebruch. Und so ähnlich verhielt es sich mit allen Einzelheiten von Rosies Bericht. Yapp hatte sich trotz seiner niederen Herkunft und seiner sozialistischen Ansichten wie ein Gentleman benommen mit Ausnahme dessen, daß er eines Nachts loszog und Rosies Mann erschlug. Im Laufe ihres Lebens hatte Emmelia eine ganze Reihe sogenannter Gentlemen kennengelernt, die nicht gezögert hätten, einen Zwerg zu erschlagen, aber Yapp gehörte einfach nicht in diese Kategorie. Dieser Mann war ein dogmatischer Mensch, aber ein Mörder war er nicht. Nachdem Emmelia erst einmal zu diesem Schluß gelangt war, hielt sie auch daran fest. Rosie hielt an der entgegengesetzten Ansicht fest. Sie verlieh ihrem Leben – dessen sie sich seit Willys Tod doppelt beraubt fühlte – einen Zauber, den sie bisher nur aus ihren Heftchenromanen kannte, und außerdem behagte sie den Polizisten und Anwälten, die ihre Zeugenaussage mit ihr durchprobten. Als der Verhandlungstag nahte, war sie so gut programmiert, daß sie ihnen zuliebe notfalls sogar geschworen hätte, Willy selbst getötet zu haben. Als Inspektor Garnet eintraf, um sie ins Gericht nach Briskerton zu bringen, mußte er zu seinem Entsetzen feststellen, daß sie sich voll in Schale geworfen hatte.
    »Das ist ja zum Steinerweichen«, sagte er und schirmte seine Augen mit der Hand gegen ein kirschrotes Kleid, pinkfarbene Schuhe und eine Federboa ab, die Rosie von ihrer Mutter und diese wiederum von ihrer Großmutter geerbt hatte. »Sie kann unmöglich so zur Verhandlung gehen. Das würde Lord Broadmoor derart aus der Fassung bringen, daß er sie wegen aufreizenden Benehmens einlochen würde.«
    »Wir können ihr ja etwas Passenderes besorgen«, meinte die Polizistin, die ihn begleitete.
    »Ich möchte bloß wissen, wo.«
    »Unten in der Crag Street gibt es eine feministische Leichenbestatterin, bei der ein paar kräftige Sargträgerinnen arbeiten.«
    Und so wurde Rosie zu diesem Beerdigungsinstitut gefahren und mit Trauerkleidung ausstaffiert. Sie verließ diesen Ort mit allen Attributen einer aufgewühlten Witwe, zumal sie sich auch noch inmitten von Särgen hatte umkleiden müssen, die sie zutiefst erschüttert hatten.
    »Willy war einfach so winzig«, schluchzte sie, als man sie ins Zeugenzimmer führte.
    Währenddessen verfolgte Emmelia im Gerichtssaal den Fortgang der Verhandlung. Guten Gewissens als solche bezeichnen konnte man sie freilich nicht; dafür sorgte schon Lord Broadmoor. Verantwortlich für das Verhalten des Richters war zum Teil Yapps Erklärung, daß er beabsichtige, seine Verteidigung selbst zu übernehmen.
    »Was beabsichtigen Sie?« fragte er, nachdem Yapp seinen Entschluß kundgetan hatte.
    »Meine Verteidigung selbst zu übernehmen«, sagte Yapp. Lord Broadmoor betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
    »Wollen Sie damit vielleicht zufällig

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