Feine Familie
jener herzlichen Doppelzüngigkeit, die ihr jetzt so leicht fiel, »ich habe dich gar nicht unter den Zuschauern gesehen.«
»Kein Scheißwunder, weil ich gar nicht da war«, schnaubte der alte Mann, hoffend, daß sie diese Sprache als kränkend empfinden würde. Aber Emmelia strahlte ihn unvermindert an. »Wie dumm von mir. Du bist sicher als Zeuge geladen worden«, sagte sie, während Croxley den Rollstuhl zu dem wartenden Leichenwagen schob. »Aber weißt du, ich finde, daß Professor Yapp diesen Fall erstaunlich gut handhabt.« Lord Petrefact produzierte Laute, die wohl bedeuten sollten, daß sich dieser Scheißprofessor Yapp seinen Fall dorthin stopfen konnte, wo sich Scheißaffen ihre Scheißnüsse hinstopften.
»Das macht viermal ›Scheiße‹«, sagte Emmelia mitfühlend. »Und das legt die Vermutung nahe, daß du wieder Probleme mit deiner Prostata hast.«
»Kümmere du dich nicht um meine Scheißprostata«, brüllte Lord Petrefact.
»Fünf«, zählte Emmelia weiter. »Weißt du, wenn du dich im Zeugenstand dieser Sprache bedienst, wirst du einen sehr schlechten Eindruck auf die Geschworenen machen.«
»Scheiß auf die Geschworenen«, sagte Lord Petrefact und ließ sich in den Leichenwagen hieven.
»Und wo wohnst du?«
»Bei Reginald Pouling.«
»Einer deiner zahmen Parlamentsbrüder. Nun ja, es muß ein großer Trost sein ...« Aber Lord Petrefact hatte dem Fahrer einen ungeduldigen Wink gegeben, so daß der Leichenwagen mitten in Emmelias Satz losfuhr. Nachdenklich ging sie die Straße hinunter. Zumindest einen seiner Feinde hatte Yapp bestraft. Emmelia dachte über andere Zeugen nach, die ihn möglicherweise entlasten würden, doch ohne großen Erfolg. Warum eigentlich hatte Yapp sie nicht vorführen lassen? Er hatte sie samt der Leiche im Kofferraum aufgesucht, um mit ihr zu reden ... Aber eigentlich hatte er ja gar nicht mit ihr gesprochen. Er hatte sie für ihren überarbeiteten, unterbezahlten Gärtner gehalten. Doch dieser Irrtum ließ sich schnell aus dem Weg räumen. Sie kehrte um, ging entschlossen zum Gerichtsgebäude zurück und bestand dort auf ihrem Recht, den Angeklagten zu sprechen. Da der Mann, an den sie geraten war, ein Gasableser war, dauerte es einige Zeit, bis sie erfuhr, daß sich Yapp auf der Polizeiwache in Briskerton befand. Emmelia begab sich auf der Stelle dorthin und erklärte dem Inspektor, sie sei in der Tat Miss Petrefact und habe neue Beweise, die den Ausgang der Verhandlung entscheidend beeinflussen könnten. Trotzdem war es gar nicht einfach, an Yapp heranzukommen.
»Er ist nicht gerade ein kooperativer Häftling«, sagte der Inspektor. Und Yapp selbst bestätigte diese Einschätzung prompt, indem er ausrichten ließ, er habe genug blutsaugende Petrefacts erlebt, um bis an sein Lebensende die Nase voll von ihnen zu haben; und da er ohnehin nicht angeklagt, sondern eher angeprangert wurde, würden ihm neue Beweise ohnehin wenig nützen, und deshalb wäre er dankbar, wenn sie sie dem Vertreter der Anklage überstellen würde.
»Dieser Mann ist ein Idiot«, sagte Emmelia und verließ die Polizeiwache. Sie war mehr denn je davon überzeugt, daß er trotzdem unschuldig war.
Die Ereignisse des folgenden Tages waren dazu angetan, sie in ihrer Überzeugung zu bestärken.
Die Anklage spielte mit Rosie ihre Trumpfkarte aus. Man hätte nicht behaupten können, daß Rosie Coppett, angetan mit Trauerkleidung von der Leichenbestatterin, einen ausschließlich sympathischen Eindruck auf Lord Broadmoor oder auf die Geschworenen machte. Während es ersterem schwerfiel zu glauben, daß eine so handfeste Frau mit einem Zwerg verheiratet sein konnte, konnten sich letztere unmöglich vorstellen, daß die Leidenschaft für eine so unelegante und erzdumme Frau für irgend jemanden, gar einen Professor, ein Mordmotiv abgeben konnte. Doch in Yapp weckten Rosies Anblick und ihre Stimme erneut jenes übermächtige Mitgefühl, das ihn, in Verbindung mit der körperlichen Anziehung, die sie auf ihn ausübte, so verletzlich gemacht hatte. Mit Lord Broadmoors Unterstützung wiederholte sich jetzt dieser ganze Prozeß, und als Yapp aufstand, um Rosie über den Ehebruch zu befragen, den zuzugeben man ihr eingetrichtert hatte, fuhr der Richter dazwischen.
»Mrs. Coppett hat durch Sie schon genug Leid erfahren, ohne daß man sie jetzt auch noch einer Inquisition über die genauen körperlichen Verrichtungen beim Ehebruch unterzieht«, sagte er. »Ich finde diese schmutzige und einschüchternde
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