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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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unterstellen, daß der Berufsstand der Juristen nicht in der Lage ist, Ihnen die absolut besten Dienste anzubieten, die ein Mann in Ihrer Situation verlangen kann?«
    »Nein. Meine Entscheidung hat andere Gründe.«
    »So, hat sie das? Und meine Entscheidung, daß Sie für die Dauer dieses Prozesses mit Handschellen an einen Wärter gefesselt werden, hat einzig und allein den Grund, daß ich nicht die Absicht habe, einen Mörder aus diesem Gefängnissaal entfliehen zu lassen. Wärter, fesseln Sie den Mann.« Während Yapp die Unterstellung, daß er ein Mörder sei, erbittert bestritt, wurde er mit Handschellen an den neben ihm sitzenden Wärter gefesselt.
    »Sie haben nicht das Recht, mich einen Mörder zu nennen!« schrie er.
    »Das habe ich auch nicht«, entgegnete Lord Broadmoor. »Ich habe lediglich gesagt, da ich nicht die Absicht habe zuzulassen, daß ein Mörder aus diesem Gerichtssaal entflieht. Wenn Sie sich selbst als Mörder bezeichnen wollen, kann ich Sie nicht daran hindern; angesichts Ihrer Situation bezweifle ich auch, ob ich das tun würde. Und jetzt bitte ich die Anklage, ihren Fall vorzutragen.«
    Emmelia saß auf der Zuschauergalerie in der dritten Reihe, hörte aber kaum zu. Sie konzentrierte sich ganz auf die blasse Gestalt auf der Anklagebank und betrachtete sie mit den Augen einer Frau, die sich, bis vor kurzem, zeitlebens in einem guten Gewissen und in dem unerschütterlichen Glauben, ein guter Mensch zu sein, gewiegt hatte. Jetzt, wo sie viel eher sie selbst war, erkannte sie in Yapps Gesicht ihre eigenen früheren Symptome. Natürlich waren sie abgeschwächt, weil ihm ihr ungeheurer Reichtum und das Wissen, nie arm und schutzlos dazustehen, fehlte, aber sein Trotz und die hartnäckige Weigerung, ein unverdientes Schicksal zu akzeptieren, entsprang tiefer Überzeugung. Die Arroganz, die Yapp auf der Anklagebank an den Tag legte, besiegelte in ihren Augen seine Unschuld.
    Auf Lord Broadmoor hatte sie genau die gegenteilige Wirkung. Im Verlauf der Verhandlung trat sein Abscheu vor dem Angeklagten immer deutlicher zutage, und als Yapp die Anklagebank verlassen wollte, um Dr. Dramble, den Gerichtsmediziner, zu verhören, nachdem dieser über die Willy Coppett zugefügten Verletzungen ausgesagt hatte, intervenierte der Richter: »Wo wollen Sie denn hingehen?«
    »Ich habe ein Recht, diesen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen«, sagte Yapp.
    »Das haben Sie«, sagte der Richter, »das haben Sie in der Tat. Niemand bezweifelt, daß Sie das haben. Ich schon gar nicht. Aber das war nicht die Frage, die ich Ihnen gestellt habe. Ich habe Sie gefragt: ›Wo wollen Sie denn hingehen?‹ Und ich wiederhole sie hiermit.«
    »Ich will hinübergehen, um diesen Zeugen zu befragen«, sagte Yapp.
    Lord Broadmoor setzte seine Brille ab und polierte sie hingebungsvoll. »Ich möchte doch Zweifel hinsichtlich Ihrer Verwendung des Wortes ›gehen‹ anmelden«, sagte er schließlich. »Vorläufig gehen Sie nirgendwohin. Wenn Sie darauf bestehen, diesem Spezialisten Fragen zu stellen, dann werden Sie dies von der Anklagebank aus tun. Ich werde nicht dulden, daß unschuldige Gefängniswärter, nur weil es Ihnen Spaß macht, an Handschellen durch den Gerichtssaal geschleift werden. Sie haben schon genug Ärger gemacht.« Und so ging die Verhandlung weiter. Yapp schrie seine Fragen von der Anklagebank aus, worauf Lord Broadmoor ihn zurechtwies, er solle keinen solchen Lärm machen und gefälligst nicht versuchen, den Zeugen einzuschüchtern. Und während der ganzen Zeit saß Emmelia da und wußte, daß sie in gewisser Weise für das, was da passierte, verantwortlich war. Vielleicht nicht sie persönlich, aber doch zumindest insofern, als sie zu jener Familie Petrefact gehörte, deren enormer Einfluß so massiv gegen Yapp sprach. In der Vergangenheit hatten sie ihre Zurückgezogenheit und das alberne Postulat verborgener Größe vor solchen Einsichten bewahrt. Doch ihr Spiegelbild in Cleetes Schaufenster und die Treulosigkeit der Familie hatten all dem ein Ende bereitet. Jetzt mußte sie feststellen, daß sie sich mit eben dem Mann identifizierte, den ihr Bruder losgeschickt hatte, um den Ruf der Petrefacts in den Schmutz zu ziehen. Es war alles recht merkwürdig und ausgesprochen abscheulich. Doch als sie am Ende dieses ersten Verhandlungstages den Gerichtssaal verließ, sah sie zu ihrer Freude, wie Croxley Lord Petrefact draußen recht hart über die Stufen hinunterrollen ließ. »Mein lieber Ronald«, sagte sie mit

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