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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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wäre es nützlich zu wissen, ob er die Mühle in seiner Aussage irgendwie erwähnt hat. Vielleicht ließe sich das ja irgendwie feststellen.« Während Yapp an jenem Abend – dem ersten von vielen – in seiner Zelle lag und krampfhaft versuchte, hinter all diesem Horror und Chaos einen logischen Grund für sein Hiersein zu erkennen, sich dieses aber nur mit einer unglaublichen Verschwörung erklären konnte, versammelten sich die Petrefacts im New House um den riesigen Eßtisch und setzten eben jenen Prozeß in Gang, der seine Theorie rechtfertigen sollte.
    »Ich hätte gedacht, es müßte dir ein leichtes sein festzustellen, ob dieser Yapp in seiner Aussage etwas von den Vorgängen in der Mühle erwähnt hat«, sagte der Richter zu Emmelia. Aber diesmal zeigte Emmelia ausnahmsweise keinerlei Interesse an den Sorgen der Familie. »Du kannst ja Frederick fragen. Um diese Zeit ist er mit Sicherheit im Arbeiterclub. Was mich betrifft, ich gehe jetzt zu Bett.«
    »Wahrscheinlich hat sie einen schlimmen Schock weg«, meinte der Brigadegeneral, nachdem sie das Zimmer verlassen hatte. In gewisser Weise hatte er recht. Der Schock, entdecken zu müssen, daß die Familie, über die sie so lange ihre schützende Hand gehalten hatte, sie kaltblütig im Stich ließ und im Grunde nichts weiter war als ein Haufen erbärmlicher Feiglinge, hatte Emmelias Einstellung grundlegend verändert. Sie lag im Bett, horchte auf das von unten heraufdringende Stimmengemurmel und verspürte zum erstenmal in ihrem Leben eine gewisse Sympathie für Ronald. Sympathie war übertrieben, denn eigentlich war es eher die gemeinsame Verachtung für die restliche Familie; aber sie reichte aus, um als Zünglein an ihrer geistigen Waagschale den Ausschlag zu geben. Sollten die doch selbst mit dem Problem fertig werden! Sie hatte ihren Part gespielt, und von jetzt an würden die anderen eben den ihren spielen müssen.
    Und vorübergehend taten sie das auch. Gegen elf Uhr traf Frederick mit der tröstlichen Nachricht ein, daß Yapps Aussage, wie ihm Sergeant Richey anvertraut hatte, dessen Frau für Plastikunterwäsche zuständig war, keinen anderen Hinweis auf die Fabrik enthielt als den, daß die Arbeiter dort ihren zweifellos kargen Lohn im Schweiße ihres Angesichts verdienen müßten. »Und du glaubst nicht, daß das ein unterschwelliger Hinweis auf diese mit Sämischleder gefütterten Höschen ist?« fragte Mrs. Van der Fleet-Petrefact, die insgeheim ein Faible für diese Dinger entwickelt hatte. »In denen schwitzt man doch auch ziemlich stark ...«
    »Oder vielleicht auf den Thermalvibrator?« schlug ihr Mann vor.
    Der Richter betrachtete Frederick mit unverhohlenem Abscheu. »Also?« fragte er, während er überlegte, ob er vielleicht gar eine Happy Susi trug.
    »Ich glaube nicht«, sagte Frederick. »Immerhin ist sein Rechtsanwalt bei ihm gewesen und hätte sicher etwas gesagt, wenn Yapp Bescheid gewußt hätte.«
    »Stimmt«, sagte der Richter. »Und wie heißt dieser Rechtsanwalt?«
    »Rubicond, glaube ich, aber ich begreife nicht, was das mit der Sache zu tun hat.«
    »Kümmere dich nicht um Dinge, die du nicht begreifst. Die Juristen sind eine Brüderschaft, und da genügt schon ein Wort ...« Nachdenklich nippte der Richter an seinem Portwein. »Also, wir müssen einfach auf das Beste hoffen und die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen lassen.«
    Und die »Gerechtigkeit« nahm ihren Lauf. Am Montag wurde Yapp dem als Gerichtspräsident verkleideten Osbert Petrefact vorgeführt und zwei Minuten später wieder in seine Zelle zurückgeschickt. Am Dienstag verlieh Richter Petrefact anläßlich eines Urteils, das er über einen Pedell verhängte, weil dieser zwei Teenager unflätig beschimpft hatte (was gar nicht stimmte), seiner dezidierten Meinung Ausdruck, daß Gewaltakte gegen Untergebene und kleine Personen wie etwa Zwerge radikal unterbunden werden mußten, wenn Recht und Gesetz nicht völlig zusammenbrechen sollten. Der Pedell bekam zehn Jahre. Am schärfsten, anonym freilich, wurde Yapp von Lord Petrefacts Zeitungen verurteilt. Jede erschien mit einem Leitartikel, in dem darauf hingewiesen wurde, daß Zwerge eine gefährdete Spezies seien, eine Minderheit, deren Interessen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die renommierteste Zeitung, The Warden, schrieb sogar, daß Personen restringierter Größe von seiten einer angeblich sozial eingestellten und fortschrittlichen Gesellschaft etwas Besseres verdienten, als als normale Männer und

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