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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Frauen behandelt zu werden, und daß man ihnen deshalb kürzere Arbeitszeiten und Behindertenrente zugestehen sollte. Innerhalb von drei Tagen wurde sogar der Premierminister zum Thema Menschenrechte für Zwerge und EG-Bestimmungen hinsichtlich der Einteilung von Individuen nach Größenkriterien befragt. Und ein völlig unbekannter Liberaler hatte mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs gedroht, der die größenproportionale Unterbringung im öffentlichen Verkehrswesen und im gesamten Unterhaltungsbereich gewährleisten sollte. Mit einem Wort: Man hatte der Öffentlichkeit derart massiv suggeriert, daß Willy Coppett von Professor Yapp ermordet worden war, daß es spontan zu einem in voller Länge vom Fernsehen übertragenen Protestmarsch von Zwergen kam, die Schutzmaßnahmen gegen Übergriffe durch Personen exzessiver Größe forderten, ihre Glaubwürdigkeit jedoch weitgehend dadurch einbüßten, daß sie ein Polizeikontingent in die Flucht schlugen, das abkommandiert worden war, um einen Zusammenstoß zwischen den marschierenden Zwergen und einem militanten Frauentrupp, der mit der Forderung »Abtreibung für Zwerge« auf die Straße ging, zu verhindern. In dem darauffolgenden Handgemenge erlitten mehrere Frauen Fehlgeburten, und ein halbwüchsiger Zwerg, der sich unter dem Rock einer hochschwangeren Frau verfangen hatte, wurde als vermeintliche Frühgeburt mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht.
    Aber das war noch nicht alles. Hinter den Kulissen wurden allerhand zwielichtige Drähte gezogen, um Waiden Yapp in Mißkredit zu bringen und dafür zu sorgen, daß sein Prozeß so kurz wie möglich, seine Verurteilung gewiß und seine Haftstrafe lang sein würde und daß er in seiner Aussage die Familie Petrefact mit keinem Wort erwähnte. Mit Hilfe jener offenbar telepathischen Einflußnahme, die das gesamte englische Rechtswesen durchzieht, konnte Purbeck Petrefact Kronanwalt Sir Creighton Hore fernsteuern, der wiederum von Mr. Rubicond entsprechend präpariert war. Ehrenwerterweise wies der berühmte Anwalt das Angebot eines Richteramtes zurück, aber er verstand den Wink. Er war ohnehin bereits zu dem Schluß gelangt, daß es ein Akt juristischer Idiotie wäre zuzulassen, daß Yapp einem Kreuzverhör unterzogen würde. »Der Mann ist eindeutig total verrückt, und wir können uns ohne Schwierigkeiten auf den Fall ›Regina gegen Thorpe und andere‹ als Präzedenzfall berufen.«
    »Könnten wir nicht einfach auf ›geisteskrank‹ plädieren?« fragte Mr. Rubicond.
    »Wir könnten, aber unglücklicherweise übernimmt Broadmoor den Fall, und der wird sich mit keinem Beweis zufriedengeben, der hinter den McNaghten-Richtlinien zurückbleibt.«
    »Aber die sind doch schon seit Jahren außer Kraft.«
    »Mir brauchen Sie das nicht zu sagen, mein Lieber.
    Unglücklicherweise hat Lord Broadmoor aus unbekannten Gründen – und man kann nur annehmen, daß es sich in erster Linie um persönliche handelt – es noch nie akzeptiert, wenn sich jemand ›schuldig, aber geisteskrank‹ bekannte. Wir können von Glück sagen, wenn unser Klient mit Lebenslänglich davonkommt.«
    »Es ist recht ungewöhnlich, daß man ausgerechnet Broadmoor diesen Fall übertragen hat«, meinte Mr. Rubicond naiv. Sir Creighton Hore behielt sein Wissen für sich. Doch die Auswirkungen gewisser Einflüsse reichten noch weiter. Nicht einmal an der Universität Kloone, wo Yapp einst so beliebt gewesen war, erweckte seine mißliche Lage sonderliches Mitgefühl. Auch das letzte Restchen Sympathie wurde durch eine erstaunlich großzügige Schenkung der Petrefact-Stiftung im Keim erstickt, mit der zwei neue Professoren bezahlt und das William-Coppett-Heim für Mikropersonen ins Leben gerufen wurde. Nur zwei ehemalige Kollegen unternahmen den halbherzigen Versuch, Yapp zu besuchen, doch der war zu niedergeschlagen, um irgendeinen Menschen aus jener Welt, die ihn so schmählich hatte fallenlassen, sehen zu wollen.
    Außerdem war er drauf und dran, den Verlockungen eines neuen Dogmas zu erliegen: dem des Märtyrertums. Schon allein mit dem Wort verband man etwas Ehrenhaftes; aber vor allem schützte es ihn vor der erschreckenden Vorstellung, lediglich einem Irrtum zum Opfer gefallen zu sein. Alles lieber als das, denn wenn er sich erst gestattete, sich von der dem Zufall unterworfenen, chaotischen Natur des Daseins verführen zu lassen, würde er die über Jahre hinweg so sorgfältig gepäppelte Gewißheit einbüßen, daß die Geschichte ein Ziel verfolgte und

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