Feine Milde
weil die beiden ED-Leute hereinkamen.
»Schon was verpaßt?« fragte Berns gespannt und zog einen Stuhl heran.
Toppe schüttelte den Kopf.
»Tibiakopffraktur rechts«, begann Heinrichs wieder.
»Fibulafraktur rechts. Auf der linken Seite eine Acetabulumfraktur und eine Scapulafraktur. Intracerebrale Blutung im linken Occipitalhirn, im rechten Frontalhirn eine Contre-coup-Läsion. Hangman’s fracture C2/C3 mit hohem Querschnitt. Todesursache: zentrale Atemlähmung. Todeszeit: 29.07.94 zwischen 17.30 Uhr und 18.30 Uhr.«
»Hat Bonhoeffer eine Übersetzung beigelegt?« fragte van Appeldorn.
»Hier ist noch ein handschriftlicher Zettel«, antwortete Heinrichs. »Vermutlich folgender Unfallhergang: der Wagen kam von rechts hinten; die Brüche an Schien- und Wadenbein stammen von der Stoßstange. Der Körper muß einige Meter durch die Luft geflogen sein und ist dann mit der linken Hüfte, Schulter und dem linken Hinterkopf auf die Straße geprallt. Die Art des Schädelbruches weist darauf hin, daß die Halswirbelsäule im Augenblick des Aufpralls leicht gedreht war. Offensichtlich«, schloß Heinrichs beklommen, »hat er sich im letzten Moment noch nach hinten umgedreht.«
Siegelkötter legte nachdenklich zwei Finger an die Lippen. »So wie ich es sehe, spricht ja wohl nichts mehr gegen die Freigabe des Leichnams. Ich werde sofort mit der Staatsanwaltschaft telefonieren. Wir müssen den Beerdigungstermin festlegen. Es haben sich bereits etliche Kollegen von außerhalb angemeldet.«
»Herrgott noch mal! Sie!« rief Astrid, besann sich aber sofort, Toppes warnender Blick wäre nicht nötig gewesen. Sie sah Stasi aus kleinen Augen an. »Besprechen Sie das bitte zuerst mit Frau Breitenegger! Vielleicht will sie ja lieber ein Begräbnis in aller Stille.«
»Ziemlich wahrscheinlich sogar«, sagte Heinrichs. »Die beiden haben immer sehr zurückgezogen gelebt.«
Berns nestelte schon die ganze Zeit an seiner Krawatte herum; auf seiner Halbglatze hatte sich in feinen Perlen der Schweiß gesammelt. Als van Gemmern sich jetzt eine Zigarette anzündete, fuhr er zu ihm herum. »Kannst du nicht aufhören zu qualmen? Hier geht man sowieso schon kaputt!«
»Ja, es ist wirklich stickig hier«, meinte Siegelkötter.
»Öffnen Sie das Fenster, Frau Steendijk.«
»Wie bitte?« Astrid sah ihm, halb gespielte Verblüffung, halb empört, in die Augen. »Sprechen Sie mit mir?«
Van Appeldorn lachte leise, stand auf und öffnete beide Fenster weit.
»Hier ist noch ein Zettel von Bonhoeffer«, räusperte sich Heinrichs. »Lieber Paul, zu deiner Frage nach dem Todeszeitpunkt bei den beiden Kindern.«
Berns sprang auf und riß ihm das Blatt aus den Fingern. Er las halblaut, dann schlug er die Augen gen Himmel, atmete tief aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Was ist denn los?« wollte Toppe wissen. Dramatische Auftritte dieser Art waren eigentlich nicht Berns’ Sache.
»Ach, ich dachte die ganze Zeit, wenn wir uns die Karre am Freitag abend noch vorgenommen hätten,. ob die Kinder da noch.«
»Aber ja«, meinte Stasi gedehnt, »der Gedanke ist mir noch gar nicht gekommen.«
Berns schnaubte einmal kräftig in seine Richtung. »Hier steht: die Totenstarre ist in diesem Moment (Samstag, 30.07. um 11.34 Uhr) noch nicht gelöst. Die Körpertemperatur der Leichen ist immer noch ungewöhnlich hoch. Nach Berechnung der Abkühlungsrate, unter Berücksichtigung der relativ hohen Außentemperaturen, müssen die Körper auf 42° C bis 44° C erhitzt gewesen sein. Je höher die Körperkerntemperatur ist, um so länger dauert die Zeitspanne, die vergeht, bis es zum Temperaturabfall kommt (Lagperiod). Je langsamer die Abkühlung, um so früher tritt die Starre ein. Der Zustand der Totenflecken ist von der Temperatur unabhängig und zeigt eindeutig, daß die Kinder länger als zehn Stunden tot sein müssen. Die fehlende Pupillenreaktion bei Injektion und die jetzt schon einsetzende Fäulnis legen die Vermutung nahe, daß der Tod vor mehr als achtzehn Stunden eingetreten ist. Die Obduktion werde ich erst vornehmen, wenn die Starre sich gelöst hat.«
Van Gemmern nickte vor sich hin. Astrid rechnete auf einem Zettelchen: »Samstag morgen 11.34 Uhr, minus achtzehn Stunden.«
»Minus 24, plus 6«, sagte van Gemmern. »Macht Freitag nachmittag um 17.30 Uhr. Wir sind gegen 19 Uhr eingetroffen. Da müssen die Kinder also schon tot gewesen sein.«
»Vielleicht waren sie sogar schon tot, als der Unfall passierte«, mischte sich van
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