Feine Milde
Appeldorn ein. »Ich habe mit der Rettungsleitstelle telefoniert und dann mal versuchsweise einen Zeitplan aufgestellt.«
»Augenblick, Norbert.« Toppe hob die Hände. »Wenn’s recht ist, würde ich gern zuerst den Bericht vom ED hören.« Die Sonne war um die Hausecke gewandert und schien ihm jetzt direkt ins Gesicht. Er rückte seinen Stuhl ein wenig nach links und öffnete die beiden oberen Knöpfe an seinem Polohemd.
Ganz gegen die üblichen Gepflogenheiten überließ Berns van Gemmern das Wort und zog es vor, Zeichnungen und Fotos auf den beiden Doppelschreibtischen auszubreiten. Van Gemmern rückte seine Brille zurecht und versenkte die schmale Nase in seinen Unterlagen. »Als erstes haben wir uns Günthers Auto vorgenommen, aber da gab es nichts Auffälliges, keine Zettel, keinen Hinweis. Zum Unfallort: wir fanden Teile einer Scheinwerferstreuscheibe und eines Blinkers. Die Spuren bestätigen Bonhoeffers Theorie. Der Wagen traf das Opfer von rechts hinten mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 70 bis 80 km/h. Es findet sich eine Driftspur, was bedeutet, daß das Fahrzeug vor dem Aufprall nur mäßig abgebremst wurde, jedoch im Augenblick des Zusammenstoßes ausreichend, ansonsten wäre der Körper des Unfallopfers auf den Wagen aufgeprallt oder überrollt worden.«
Er wartete, bis Berns anhand der Fotos und Skizzen alles erläutert hatte: »Also, hier am linken Straßenrand ging Günther, und zwar in Richtung Kleve. Das Auto kam von Grafwegen, geriet mit hoher Geschwindigkeit nach rechts von der Fahrbahn – deutliche Spuren im Farnkraut, seht ihr? Ist dann mit unvermindertem Tempo scharf nach links rübergezogen und hat Günther rechts hinten erwischt.« Er zog ein zerknittertes grün-rot kariertes Taschentuch aus der Hose und wischte sich über den Kopf.
Van Gemmern übernahm wieder. »Die Glasscherben, die wir gefunden haben, der Radstand und die Art der Bereifung weisen auf einen PKW der gehobenen Mittelklasse hin, aber unsere Auswertung wird im Moment noch von einem Sachverständigen überprüft. Seine Ergebnisse dürften in zwei, drei Tagen vorliegen. An der Kleidung des Unfallopfers konnten wir keinerlei Spuren von Lack oder Kunststoff finden, aber darüber hatten wir ja schon gesprochen.« Er nahm die Brille ab und blinzelte. »Unsere Mittel für eine solche Untersuchung sind äußerst begrenzt, aber das BKA wird uns bestimmt schon in ein paar Tagen Genaueres mitteilen können.«
»Wochen«, meinte Heinrichs bitter. »In ein paar Wochen! Das kennen wir doch.« Er stemmte seine zwei Zentner aus dem Stuhl hoch, ging zum Fenster und holte ein paarmal tief Luft. »Und was hat jetzt dieser holländische Wagen mit dem Unfall zu tun?« fragte er, als er sich wieder umdrehte. »Was sind das für Kinder? Hat Günther was davon mitgekriegt? Hat er sie entdeckt?«
»Himmelarsch!« fuhr Berns ihn an. »Spekulieren kannst du immer noch. Wir sind noch bei den Fakten, oder seh ich das falsch?«
Er wartete gar nicht erst ab, sondern legte gleich los mit seinen Ergebnissen zum holländischen Auto: Papiere hatten sie keine gefunden. Im Führerhaus nur das Übliche: Parkscheibe, Eiskratzer, ein paar Cents, die zwischen die Sitze gerutscht waren, zwei leere Einwegfeuerzeuge, eine angebrochene Rolle Red Band Zoutjes, Papiermüll, vertrocknete Pommes, zwei volle Dosen Heineken in den Plastikschlingen eines Sixpacks und jede Menge verschiedener Fingerspuren. Im Laderaum: je acht nagelneue Damen- und Herrenräder, Werkzeug und in den angenagten Kartons Fahrradersatzteile und -zubehör.
»Die Kiste hat einen Motorschaden, Kolbenfresser«, fuhr Berns fort. »Sie ist ihm offensichtlich verreckt. Ungefähr hier.« Er zeigte ihnen die Stelle auf dem Foto. »Dann hat der Fahrer sie langsam ausrollen lassen. Wir haben da eine deutliche Spur auf der Straße. Die Reifenspur des Verunfallers schneidet sie an dieser Stelle. Sie liegt eindeutig darüber.«
Heinrichs riß die Augenbrauen in die Höhe. »Der Holländer war also schon da, als der Unfall passierte!«
»Zumindest stand das Auto schon da«, murmelte van Appeldorn und ergänzte etwas auf seinem Zeitplan.
Van Gemmern zerbrach die Stille. »Nur der Vollständigkeit halber: die beiden Säuglinge lagen in einer Babytragetasche aus marineblauem Kunststoff. Ich weiß noch nicht, wo sie hergestellt worden ist, aber auf dem Sperrholzboden ist ein Stempelaufdruck in kyrillischer Schrift. Die Kleidung der Kinder ist momentan noch in der Pathologie, aber ich kann sie gleich
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