Feine Milde
hier.« Sie zog ein paar zusammengeheftete Blätter hervor. »Wenn wir die Unterschriften von 2/3 der Mitglieder haben, können wir eine außerordentliche Vollversammlung einberufen und einen Mißtrauensantrag gegen den Vorstand stellen. Bist du dabei?«
Die Schnackers verzog weinerlich den Mund. »Wenn du meinst …«
»Los, laß uns eine Liste machen!«
8
Am Sonntag mittag war der Anruf aus der Pathologie gekommen: bei den Babies hatte sich die Totenstarre gelöst, und Bonhoeffer wollte die Obduktion vornehmen. Diesmal hatten sie nicht darum pokern müssen, wer von der Kripo daran teilnehmen sollte; Berns war freiwillig gefahren.
Auch van Gemmern hatte keinen freien Tag gehabt. Es war ziemlich schwierig gewesen, ausgerechnet am Wochenende die entsprechenden Informationen zu bekommen, aber am Sonntag abend wußte er: die Tragetasche stammte aus der Sowjetunion, die Kleidung der Kinder, die Windeln und die Schnuller waren in Bulgarien hergestellt worden.
Toppe und Astrid waren nachmittags bei Frau Breitenegger gewesen. Stasi würde auf sein »Staatsbegräbnis« verzichten müssen. Günther Breitenegger würde in aller Stille beigesetzt werden, und zwar in seiner Heimat, einem kleinen Dorf in Bayern. Die Witwe würde noch einmal zurückkommen, um den Haushalt aufzulösen und den Bungalow zu verkaufen.
»In drei, vier Jahren, nach Günthers Pensionierung, wären wir sowieso zurückgegangen«, hatte sie gesagt. »Für mich ist es leichter. Meine Geschwister leben dort und meine Nichten und Neffen mit ihren Kindern.« Sie waren fast drei Stunden bei ihr geblieben, trotz Toppes Unruhe. Christian hatte sich morgens, als sie im Präsidium gewesen waren, aus dem Staub gemacht, und keiner wußte, wo er steckte. Wie wenig er seinen Sohn kannte! Ihm war kein einziger Freund eingefallen, den er hätte anrufen können, und Oliver war auch keine Hilfe gewesen. »Ich weiß doch bloß die Vornamen.«
Abends um neun war der Junge auf einmal wieder aufgetaucht – mit einer kräftigen Fahne. Toppe hatte ihn kommentarlos ins Bett geschickt.
Der Montag begann mit einem Artikel in der Niederrhein Post:
Tragischer Tod im Dienst
Der Tod des Klever Kommissars Günther Breitenegger (59) erschütterte am Freitag die gesamte Polizei in Kleve. »Der verdienstvolle Mitarbeiter hinterläßt eine schmerzliche Lücke«, so Stanislaus Siegelkötter, Leiter der Kriminalpolizei. Soviel steht fest: am Freitag abend gegen 18 Uhr fand ein Maurer aus Grafwegen den leblosen Körper des Kommissars auf dem Kartenspielerweg. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Sicher ist bisher, so Siegelkötter weiter, daß Breitenegger von einem Auto überfahren wurde. Hinsichtlich des Unfallhergangs tappt die Polizei noch im dunkeln. Rätselhaft ist in diesem Zusammenhang die Rolle eines holländischen Kleintransporters, der unmittelbar an der Unfallstelle verlassen vorgefunden wurde. Hauptkommissar Helmut Toppe, vorzeitig aus dem Urlaub zurückgekehrt, gab bekannt: »Wir fanden zwei Kinderleichen im Laderaum.« Ob zwischen dem jähen Ende des Klever Kriminalbeamten und den beiden toten Kindern im Lastwagen ein Zusammenhang besteht, konnte am Sonntag noch nicht geklärt werden. »Wir sind in diesem Punkt auf die Mithilfe der Bürger angewiesen«, sagt Siegelkötter. Wer hat am Freitag zwischen 17.30 Uhr und 18.30 Uhr einen dunkelgrauen Mercedestransporter 205 mit holländischem Kennzeichen am Kartenspielerweg beobachtet, bzw. wer hat Personen gesehen, die mit dem Wagen im Zusammenhang stehen könnten? Insbesondere sucht die Polizei einen etwa 25 fahre alten Mann, ca. 180 cm groß, mit auffallend langem rotem Haar, bekleidet mit Bluejeans und einem hellen Hemd. Sachdienliche Hinweise unter folgender Telefonnummer …
»Ich bleibe heute im Büro, falls irgendwelche Hinweise eingehen«, meinte Heinrichs.
Toppe nickte zustimmend. »Dann gewöhnst du dich gleich dran, denn du wirst wohl in Zukunft Günthers Bereich übernehmen müssen.«
Heinrichs rümpfte die Nase. Aktenführer, den ganzen Tag am Schreibtisch hocken, das lag ihm überhaupt nicht, dazu war er viel zu unstet und zu gern an der frischen Luft. Auch van Appeldorn schaute Toppe finster an. Walter Heinrichs verfügte zwar über Kombinationsgabe und Phantasie im Überfluß, Ordnung und Systematik waren jedoch nicht seine Stärken. »Das können wir doch sicher noch mal in Ruhe besprechen«, meinte er, aber Heinrichs kam ihm dazwischen. »Soll mir recht sein, im Moment
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