Feine Milde
forderte van Appeldorn seinen holländischen Kollegen auf, nachdem die beiden anderen nach langen Hin und Her das Büro endlich verlassen hatten.
Lowenstijn zog die Bügelfalten hoch und schlug die Beine übereinander. Er sah aus wie ein Schauspieler, der einen Kripomann darstellt; groß, mit einem Körper, dem man ansah, daß er regelmäßig trainiert wurde. Sein dickes, rotbraunes Haar lockte sich im Nacken und hatte genau die richtige Länge, um lässig, aber nicht ungepflegt zu wirken; er war vier, fünf Jahre älter als van Appeldorn, in Toppes Alter ungefähr. Trotz der Hitze trug er einen hellen Leinenanzug mit Weste. Van Appeldorn wunderte sich ein bißchen, daß der Mann ihm sympathisch war.
Lowenstijn arbeitete in einer Sonderkommission, die sich mit illegalem Kinderhandel befaßte. »In Holland haben wir dieses Problem schon seit einer ganzen Weile. Nun scheint es zum ersten Mal eine Verbindung nach Deutschland zu geben. Sind die Leichen schon obduziert worden?«
Van Appeldorn kam nicht dazu zu antworten, denn das Telefon klingelte: ein hilfsbereiter Bürger, der am Freitag auf dem Kartenspielerweg gewesen war. Den holländischen Wagen hatte er zwar nicht gesehen, aber doch einige andere Autos und Leute, die er beschreiben konnte. Den ganzen Tag hatte das Telefon nicht stillgestanden, und Heinrichs hatte einige Leute gebeten, morgen früh ins Präsidium zu kommen und eine Aussage zu machen. Dieser Anrufer jedoch erwies sich als unergiebig. Van Appeldorn bat die Leitstelle, eine Zeitlang keine Anrufe mehr durchzustellen. »Schreibt euch die Namen auf. Wir rufen die später zurück.« Dann wendete er sich wieder Lowenstijn zu. »Dr. Bonhoeffer hat gestern mittag die Obduktion gemacht, seinen Bericht haben wir allerdings noch nicht hier.«
»Das macht nichts. Ich will mir die Kinder sowieso ansehen, dann kann ich gleich selbst mit dem Pathologen sprechen.« Er las den ED-Bericht und nickte. »Das deckt sich mit dem, was wir haben: Sowjetunion, Bulgarien … Wir werden wohl …« Er unterbrach sich. »Ein Herr Siegelkötter hat sich mit uns in Verbindung gesetzt.« Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Van Appeldorn seufzte nur.
»Wer ist das?« fragte Lowenstijn.
»The Big Boss«, griente van Appeldorn.
»Ja, das hätte ich mir denken können. Er will unsere Zusammenarbeit koordinieren …« In Lowenstijns Augenwinkeln erschienen feine Schmunzelfältchen.
Van Appeldorn lächelte zurück. »Nun, ich würde sagen: soll er doch.«
»Das ist auch meine Meinung.« Lowenstijn unterdrückte das Lachen nicht länger. »Ein guter Koordinator kann wichtig sein.«
»Sehr wichtig«, prustete van Appeldorn.
De Witts Vernehmung führte van Appeldorn, und Heinrichs bediente das Tonbandgerät. Lowenstijn saß zwar am selben Tisch, aber er verstand sich ausgezeichnet auf die Kunst, sich unsichtbar zu machen. Rein akustisch gesehen verlief das Gespräch jetzt zwar besser, aber es dauerte ewig, bis de Witt kapiert hatte, was sie eigentlich von ihm wollten.
Er war von Freitag bis heute in Utrecht bei seiner Schwester gewesen, die ihren 60. Geburtstag gefeiert hatte. Daß sein Transporter in die Knie gegangen war, ärgerte ihn zwar, aber unerwartet kam das nicht, schließlich hatte der Wagen schon ordentlich Kilometer auf dem Buckel und wurde von vielen verschiedenen Leuten gefahren. Wer den Wagen am Freitag benutzt hatte? Rob de Boer und Martijn Smit.
»Ist einer der beiden rothaarig?« fragte van Appeldorn.
De Witt runzelte ratlos die Brauen.
»Rote Haare!« rief van Appeldorn.
»Ou ja, Rob hat rote Haar.«
Lowenstijn bewegte sich kurz.
Der Fahrradhändler beschäftigte in seiner Firma ständig fünf bis sechs Arbeiter, in der Regel ungelernte Kräfte.
»Für die Fahrradreparatie mußt du keine Diploma haben.«
Entsprechend schlecht wurden die Leute bezahlt, entsprechend schnell suchten sie sich meist einen neuen Job.
Smit und de Boer hatten am Freitag zwei Aufträge gehabt. De Witt betrieb einen Fahrradverleih in Broek in Waterland. Alle vierzehn Tage fuhren die beiden Männer dorthin, um die Räder zu überprüfen und notwendige Reparaturen durchzuführen; so auch am letzten Freitag. Danach sollten sie zum UnCo Markt nach Rees fahren und die bestellten Räder ausliefern, die jetzt immer noch im Laster standen. De Witt konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was die zwei auf dem Kartenspielerweg verloren hatten. Von Broek in Waterland nach Rees, da lagen Kranenburg und Kleve nicht gerade auf
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