Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
offenbar
wenig Fett am Leib. Sein Kopf war kahl rasiert, und er
trug einen Vollbart. Wie bei seinem Vater und seinem
Bruder war seine Haut von dunkler Walnussfarbe, und in
der Hitze des Abends glänzte sein Gesicht leicht. Kaspar
wünschte sich wieder einmal, er hätte den Mut, die traditionelle olaskische Kleidung abzulegen und einen keshianischen Kilt anzuziehen, denn das wäre zweifellos
erheblich bequemer gewesen.
»Mein Magen plagt mich heute Abend ein wenig, Hoheit, und ich will sicher sein, dass es mir bald wieder gut
genug geht, um die Festlichkeiten der kommenden Woche genießen zu können.«
»Es ist eine ziemlich aufwendige Angelegenheit«, sagte Prinz Sezioti über den Tisch hinweg. »Der Zeremonienmeister versucht jedes Jahr erneut, die Feier des Vorjahrs zu übertreffen.«
Dangai schnaubte. »Wie viele paradierende Elefanten
oder Affen, die Zebras reiten, kann ein Mensch ertragen?« Er lachte. »Ein paar davon sind ja ganz unterhaltsam, aber nach der ersten halben Stunde sind sie …« Er
zuckte die Achseln. »Aber die Bevölkerung scheint es zu
lieben.«
Sezioti lachte. »So wie du, kleiner Bruder, als du sechs
Jahre alt warst. Du hast ›Heb mich höher, Sezi!‹ gerufen,
bis ich befürchtete, meine Arme würden abfallen.«
Dangai nickte. »Ich erinnere mich, Bruder, ich erinnere mich.«
Kaspar verglich die beiden Männer. Die Familienähnlichkeit war offensichtlich, aber Sezioti war nicht so
muskulös wie sein Bruder. Er hatte wie alle vom Wahren
Blut seinen Löwen getötet, aber das war vielleicht das
letzte Mal gewesen, dass er auf die Jagd gegangen war,
und mochte gut fünfunddreißig Jahre her sein. Er sah
eher aus wie ein Mann, der zur Gelehrsamkeit neigte,
und er hatte ein schmaleres Gesicht als Dangai.
Eines verwirrte Kaspar immer noch: Die beiden Brüder schienen gerne zusammen zu sein. Es herrschte eine
brüderliche Unbeschwertheit zwischen ihnen, sie neckten
einander wie zwei Männer, die Jahrzehnte miteinander
verbracht haben. Kaspar hatte keine Brüder gehabt, aber
selbst einem Blinden konnte nicht entgehen, dass diese
beiden Männer einander sehr nahe standen.
Kaspar versuchte, sich vorzustellen, was sie zu Feinden machen könnte, und versagte. Er konnte sich ausmalen, dass sie über etwas uneins waren; alle Brüder stritten
sich hin und wieder. Er konnte sie sogar sehen, wie sie
leidenschaftlich darüber diskutierten, wie das Kaiserreich
regiert werden sollte, aber für ihn war die Antwort offensichtlich: Sezioti sollte Erbe bleiben, und Dangai sollte
den Befehl über die Armee erhalten – über die gesamte
Armee. Das Beste wäre, wenn der Meister der Pferde, der
Anführer der kaiserlichen Wagenlenker und die Kommandanten der Inneren Legion allesamt unter seinem
Befehl stünden. Wenn man Dangai diesen Teil des
Reichs anvertraute, würde er schon dafür sorgen, dass
seinem Bruder kein Leid geschah.
Was entgeht mir hier?, fragte sich Kaspar. Was gibt es
hier, das ich nicht erkenne?
Er beschloss, mehr herauszufinden, und sagte: »Prinz
Dangai, vor meiner Abreise aus Olasko gab es ein paar
geringfügige Handelsdispute zwischen Olasko und Kesh.
Sind sie inzwischen gelöst worden?«
Dangai zerbrach den kleinen Knochen eines Wildvogels und saugte das Mark heraus. Er zeigte mit einem
Geflügelknochen auf seinen Bruder und erklärte: »Ich
muss zugeben, dass solche Fragen mehr in Sezis Bereich
fallen. Ich beschäftige mich überwiegend mit militärischen Angelegenheiten. Sezi?«
»Olasko war nie das Problem«, sagte Prinz Sezioti.
»Es lag daran, dass Roldem darauf bestand, dass alle Waren aus Kesh auf dem Weg zu den östlichen Königreichen in Roldem verzollt werden mussten. Wir hätten die
Waren auch zu den Häfen des Königreichs in Niederhohnheim oder Timons bringen und dann über Land weitertransportieren können, aber dann hätten wir die Zölle
des Königreichs zahlen müssen. Oder wir hätten den
Transport in Queral und Hansule beginnen und um die
Felsen des Quor herumsegeln können, aber diese Piraten
in Roldem erhoben Anspruch auf alle Transaktionen in
der See des Königreichs.«
»Außer bei den Schiffen von den Inseln«, stellte Kaspar fest.
Sezioti nickte und lächelte bedauernd. »In der Tat, und
das liegt daran, dass selbst Roldem die Flotte des Königreichs respektiert. Kesh jedoch ist ein Landtier, und unsere Marine ist kaum besser als die Piraten selbst.«
»Jetzt sprichst du ein Thema an, das mich sehr interessiert, Bruder«, meldete Dangai
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