Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
in die falsche Richtung gehe und alle umgebracht werden«, sagte
Tal nachdenklich.
Caleb zuckte die Achseln.
Tal erklärte: »Es gefiel mir besser, als ich noch Schüler war und du mein Lehrer warst, Caleb. Damals musstest du alle schwierigen Entscheidungen fällen.«
Wieder zuckte Caleb die Achseln, aber diesmal mit einem Lächeln. »Es ist irgendwie, als würde man sich entscheiden, in eine Höhle einzudringen, um einen Bären zu
jagen, nicht wahr?«
Tal nickte. »Es ist erheblich sicherer, dafür zu sorgen,
dass er rauskommt, als ihm in die Höhle zu folgen.«
Dann sahen beide Männer einander mit großen Augen
an. Tal fragte: »Denkst du, was ich denke?«, und Caleb
nickte.
»Wir gehen nicht rein, wir treiben sie raus.«
Tal wandte sich an Pasko und Amafi und sagte: »Gebt
das weiter. Alle bleiben, wo sie sind, bis sie wieder von
uns hören. Wir müssen noch einiges planen.«
Amafi sagte: »Euer Wohlgeboren«, und ging zur Tür.
Pasko sprach in diesem leisen, grollenden Ton, der
immer darauf schließen ließ, wie ernst er etwas meinte.
»Ihr solltet euch lieber beeilen. Uns bleibt noch eine Woche bis Banapis, und die erste Runde kleinerer Feste beginnt morgen. Nächste Woche um diese Zeit wird es zu
jeder Stunde an jeder Ecke Chaos geben.«
Caleb nickte und stand auf. »Ich muss diesen Bettlerjungen finden und den Richter benachrichtigen. Wir
müssen wissen, wie dicht wir an diese beiden Bereiche
des Abwassersystems herankommen können.«
»Hoffen wir, die Informationen sind wirklich gut. Ich
würde ungern derjenige sein, der feststellt, dass er sich
auch nur um ein winziges bisschen geirrt hat.« Tal hielt
Daumen und Zeigefinger dicht aneinander.
»Wir werden eine sichere Möglichkeit finden, sie
rauszulocken«, sagte Caleb. »Morgen wird Vater hier
sein, damit wir den Angriff vorbereiten können, und ich
nehme an, er wird den einen oder anderen Trick vorschlagen.«
»Da wir gerade von Tricks reden«, warf Tal ein. »Wir
könnten auch Nakor gebrauchen. Es gibt auf der ganzen
Welt keinen heimtückischeren Mistkerl.«
»Ich werde Vater fragen«, sagte Caleb. »Und jetzt suche ich Shabeer und fange an, Pläne für morgen zu machen.«
Als er schon in der Tür stand, fragte Tal: »Was ist mit
Kaspar?«
»Ich werde Pasko zu ihm zurückschicken, bevor er
schlafen geht.« Tal ging, und Caleb konzentrierte sich
auf die Aufgabe, die vor ihnen lag: Wie sollten sie die
Nachtgreifer dazu bringen, ihr Nest zu verlassen, ohne
dass sie dabei umgebracht wurden?
Kaspar musste feststellen, dass selbst ein inoffizielles
Abendessen im kleinen Kreis mit den beiden Thronprätendenten ein Dutzend anderer Würdenträger des Kaiserreichs, zwanzig Diener am Tisch, zwei Dutzend weitere,
die das Essen aus der Küche brachten, Musiker, Jongleure, eine große Anzahl attraktiver Frauen, gutes Essen und
viel guten Wein einschloss.
Man hatte Kaspar einen Ehrenplatz zur Linken von
Prinz Dangai gegeben, der an der langen Seite des Tisches seinem älteren Bruder Prinz Sezioti gegenübersaß.
Der Platz am Kopf des Tisches war bewusst leer geblieben, um anzuzeigen, dass niemand von höherem Rang
anwesend war, und um Konflikte zwischen den beiden
Brüdern zu verhindern.
Kaspar hatte die »inoffizielle« Einladung – einen
handgeschriebenen Brief, kunstvoll von einem kaiserlichen Sekretär verfasst und auf einem Samtkissen von
einem Diener abgeliefert – am Vormittag des gleichen
Tages erhalten. Sein Plan, sich mit Caleb und Tal zu treffen, war damit zunichte gemacht, denn man konnte eine
Einladung der kaiserlichen Prinzen nicht einfach ablehnen. Kaspar nahm an, dass die abrupte Einladung eine
direkte Folge seines Abendessens mit dem Kaiser am
Abend zuvor war. Er dachte, dass die Vermutung, die er
gegenüber Amafi geäußert hatte, korrekt gewesen war
und nun beide Prinzen herausfinden wollten, ob Kaspar
der Fraktion des anderen angehörte.
Die Mahlzeit war hervorragend, aber Kaspar hatte
nicht viel gegessen. Er erwartete, in weniger als fünfzehn
Stunden in einen Kampf um sein Leben verwickelt zu
sein.
Prinz Dangai fragte: »Behagen das Essen und der
Wein Euch nicht, Lord Kaspar?«
»Im Gegenteil, Hoheit. Sie sind unvergleichlich.«
»Es kommt mir nur so vor, als würdet Ihr wenig essen
und noch weniger trinken.«
Kaspar sah den jüngeren Thronprätendenten an. Er
war ein paar Jahre älter als Kaspar selbst, hatte aber immer noch die Figur eines Kriegers. Seine Schulter- und
Armmuskeln waren ausgeprägt, und er hatte
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