Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
schnell.«
    Die meisten hatten es nicht gehört, aber ein paar schüttelten ihre Lethargie wieder ab. Nun hatten sie einen, der sie führte, und so waren sie wieder bereit, zu folgen.
    Sie trieben ein verdrecktes Stück weißes Tuch auf und einen Stock, und sie krochen aus ihrem Keller, hinter sich den Applaus über ihren Heldentod, der lauthals aus der Reichshauptstadt Berlin übertragen wurde und dessen gespenstisches Echo von den Trümmerbergen zurückhallte.
    Sie hoben nicht den Fuß, als sie auf die steinhart gefrorenen Leichen ihrer Kameraden traten. Und sie liefen blindlings dorthin, wo sie die Sowjets vermuteten. Aber nicht einmal das Überlaufen wollte ihnen gelingen. Plötzlich stand ein schreiender Hauptmann vor ihnen, und sie konnten gerade noch ihre weiße Fahne wegwerfen.
    Das Gebrüll des Offiziers verebbte erst, als er Achims Dienstgrad sah und bemerkte, daß er noch eine MP trug. »Sie kommen mir wie gerufen, Oberfähnrich«, sagte er.
    Erst jetzt erkannte Achim an dem Blechschild der Kettenhunde, daß der Hauptmann zur Feldgendarmerie gehörte.
    »Hab' hier ein paar Drückeberger geschnappt«, sagte er, »sind zur Abschreckung zu erschießen … und ich hab' keine Leute dafür … Haben Sie noch Munition, Oberfähnrich?«
    Achim Kleebach ging einfach weiter, ohne dem Kettenhund eine Antwort zu geben. Die vier anderen folgten ihm.
    »Seid ihr taubstumm?« schrie der Hauptmann und trat wieder an Achim heran. Er hatte ein irres Grinsen im Gesicht, das so abgemagert war, daß es wie ein Totenschädel wirkte. Der Fanatismus hat alles Menschliche in dieser Visage überlebt, dachte Achim. Und dann stieß er hinter dem Trümmerberg auf die vier armen Teufel, die von einem Feldwebel bewacht wurden und auf ihr formloses Ende warteten.
    »So«, sagte der Offizier, »legt sie um.«
    »Warum?« erwiderte Achim.
    »Befehl.«
    »Von wem?«
    »Von mir.«
    »Gut«, versetzte Oberfähnrich Kleebach, »wir haben noch ein paar Schuß Munition, Herr Hauptmann … aufgespart für was ganz Feines.« Er faßte am Schaft seiner Maschinenpistole nach, entsicherte und sagte kalt: »Für Sie, Herr Hauptmann.«
    Im letzten Moment begriff der Totenschädel, aber er reagierte nicht mehr, und so schoß ihm Achim das ganze sorgfältig verwahrte Magazin durch den Schädel, weil er ohnedies keine Munition mehr brauchte. Dann suchte er den Feldwebel, der wie gehetzt davonlief und sagte zu den vier Delinquenten: »Los, schließt euch an … Schluß mit der Verreckerei!«
    Nun liefen acht Mann einer dünnen Chance entgegen, vorsichtig, nach allen Seiten sichernd und zufällig in die richtige Richtung. Eine Viertelstunde später stießen sie auf vermummte russische Vorposten, hoben die Hände und kamen langsam, mit taumelnden Schritten näher, warteten darauf, erschossen zu werden, und waren zu schlapp, sich darüber zu wundern, daß es nicht geschah. Nur Achim Kleebach geriet in Zorn und haderte mit sich, daß er nicht schon längst diesen in Stalingrad einzigmöglichen Ausweg gesucht hatte.
    Die Gefangenen wurden hart angefaßt, aber die Behandlung durch die Russen war im Vergleich zu den letzten Wochen fast noch ein Luxusleben. Langsam kamen sie wieder zu sich, erholten sich sogar bei Wasser und Steckrübensuppe, wurden zu Sammelstellen getrieben, und so nach und nach gesellten sich zu ihnen: ein Generalfeldmarschall, vierundzwanzig Generale und fast 90.000 meist verwundete Landser und Offiziere, von denen viele trotz allem dem Tod entgegenhumpelten, wenn auch in einer anderen, gemäßigteren Version. Während die Rote Armee auf dem jetzt totenstillen Kriegsschauplatz an die 150.000 deutsche Gefallene zu großen Haufen schichtete und verbrannte.
    Achim Kleebach kam in ein Gefangenenlager, dessen russischer Kommandant trotz allem ein Mensch geblieben war, und so gab es nicht nur Arbeit, sondern auch Essen. Aber mit der Erholung verstärkte sich der Hass, und damit wirkte auch die Propaganda, der er ausgesetzt war, und als sich schließlich das ›National-Komitee Freies Deutschland‹ bildete und die Werbetrommel rührte, gehörte er zu den Plennis, die der Versuchung erlagen, aber nicht des besseren Essens und der anständigeren Behandlung wegen, sondern weil sein Hass so groß war, daß er ein Ventil brauchte. Hass auf eine Bewegung, die von Kameradschaft gesprochen, und Hunderttausende von Kameraden in den Tod von Stalingrad gehetzt hatte.
    Das Sondergericht tagte seit neun Uhr fast ohne Pause. Es hagelte Todesurteile am

Weitere Kostenlose Bücher