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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Sekunde. Im gleichen Moment, da der Pilot den drei Motoren Vollgas gab, in der nämlichen Sekunde, da Unteroffizier Hanselmann den bewußtlosen Oberleutnant Kleebach aus der Maschine stoßen wollte, gab Achim dem überraschten Bullen einen mächtigen Fußtritt, stürzte sich auf ihn, umklammerte seinen Hals, wurde von der Wucht des Ansprungs aus der Maschine geworfen, fiel mit ihm auf den knallharten Boden und wurde vom Wirbel der Luftschraube zum Schwanz der Maschine geschleudert, wo schon ein halbes Dutzend anderer kauerte und sich mit verkrampften Gesichtern festhielt.
    Hanselmann kam hoch, ging geduckt nach vorne, zog zwei Mann von der Wellblechschwinge, warf sich über die Tragfläche, krallte sich ein, hing an der rollenden Ju, die jetzt schneller wurde, mit ein paar anderen, die die Maschine jetzt abschüttelte. Hanselmann hing noch immer an dem Aluminium, als der Flugzeugführer jetzt seine Maschine hochriß, deren Flügel nach links hing, von dem Bullen nach unten gedrückt. Der Pilot glich aus. Die Maschine war schon sechs, sieben Meter über der Erde, ein riskanter Steuerausschlag, und Hanselmann schmierte über die vereiste Tragfläche ab, fiel nach unten in einen Schneehaufen, auf den die nächste Ju zurollte. Und der Bulle stand noch einmal auf und hob den Arm, und die Maschine raste weiter, wie auf eine geschlossene Schranke zu, und kurz bevor sie den Unteroffizier erreichte, wurde er von der rechten Luftschraube beiseite geschleudert, der dritten Ju vor die Schnauze, der eben der Start gelungen war. Und jetzt erfaßte ihn der Propeller, zerschmetterte ihm den Kopf, splitterte genau in dem Moment auseinander, als der Pilot die Maschine von der Erde hob, und von der Kraft des einen Motors wurde sie nach vorne gerissen und überschlug sich in einem gigantischen Schulterüberwurf.
    Dann explodierten die Benzintanks.
    Die Detonation warf auch den Oberfähnrich Kleebach zu Boden. Aber noch im Fallen starrte Achim nach oben zu der ersten Maschine, in der Thomas lag und die jetzt eben in das Sperrfeuer der sowjetischen Flak geriet. Und Achim verfolgte die schwarzen Sprengwölkchen, die sich wie häßliche, tödliche Sommersprossen um die Ju legten, sah, wie ihre Flügel zitterten, wie die Maschine nach links abrutschte und wieder aufgefangen wurde, wie sie der Pilot gerade noch über dem Wäldchen hochzog, und wie sich ihre Schnauze jetzt steil nach oben bohrte in eine riesige, schmutzige Wolke hinein, die sie rettete.
    Nie war Achim Kleebach eine Wolke so schön erschienen, und ein paar Sekunden lang stieg eine heiße, wilde Dankbarkeit in ihm auf, daß Thomas durchgekommen war: dann wurde es wieder still um Achim Kleebach. Seine Haut wurde so klamm wie sein ganzer Körper, und auf einmal spürte er, wie allein er war.
    Es sollte eine Familienfeier werden, aber es war todtraurig. Die Männer trugen dunkle Anzüge, wie man sie bei feierlichen Gelegenheiten anzulegen pflegt, aber sie wirkten wie Totengräber, und das flackrige Licht der Kerzen in der kleinen evangelischen Kirche verstärkte noch den Eindruck.
    Der Mann, der im Mittelpunkt der Zeremonie stand, konnte sie nicht sehen. Er war blind. Zu lebenslänglicher Nacht verurteilt. Er brauchte nicht mehr zu warten, daß man ihm den Verband abnahm, seit sieben Monaten wußte er Bescheid. Sein Gesicht war von Brandwunden entstellt, eine dunkle Brille deckte die Glasaugen, die man ihm eingesetzt hatte, und er wußte, daß das Mädchen, das heute seine Frau wurde, daß Marion Kleebach ihn aus Mitleid heiratete, Mitleid gemischt mit Schuld. Er verachtete sich selbst, daß er das Opfer annahm, doch er war glücklich darüber, soweit man es in der ewigen Dunkelheit sein kann. Kein Licht und keine Blume, kein Bild und kein Buch würde es mehr für ihn geben, aber er hatte Marion zur Frau, ein Mädchen von zwanzig, das schönste, das er je gesehen hatte, als er noch sehen konnte, und seine Hände, die bereits begannen, seine Augen zu ersetzen, kannten sie auswendig und waren nicht so grausam wie seine Ohren, die ihn überdeutlich empfinden ließen, zu welchem Opfer sich Marion zwang.
    Sie stand neben ihm, blass und rührend. Hinter ihr, mit ernstem Gesicht die Mutter, die Heinz Böckelmann mochte und heißes Mitleid mit ihm hatte, aber der die Tochter doch schließlich näherstand als er. Und so hatte sie immer wieder zu Marion gesagt: »Überleg dir, was du tust. Ich will dich nicht davon abhalten. Aber denke daran, daß das ganze Leben vor dir liegt … und daß

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