Feldpostnummer unbekannt
abgeschlossen zu haben und wühlte in den nächsten Aktenstücken wie in Schicksalen.
Gerade als sich die Richter zurückziehen wollten, tauchte ein seltsamer Zeuge auf, in der senffarbenen Uniform eines Politischen Leiters, als Leumundszeuge nur, um einem der Harmlosen, die das System sonst auszuradieren pflegte, um diesem einen wenigstens beizustehen: Es war Pg. Rosenblatt, der Ortsgruppenleiter.
Er schilderte, so gut er konnte, das Schicksal der Familie Kleebach im Krieg, und er erklärte den Zwischenfall in der Kneipe als das Spiel überreizter Nerven. Zum Fall selbst konnte er nichts sagen. Die Richter spielten nervös mit ihren Bleistiften, aber sie hörten zu.
»Und Sie sind Ortsgruppenleiter?« fragte der Vorsitzende am Schluß verwundert, »und Sie finden für die Beleidigung des Führers … noch eine Entschuldigung? … Sie sind mir ja ein schöner Nationalsozialist.«
Aber die schlichten Worte des Hoheitsträgers, der sich längst nach den Zeiten sehnte, in denen er von Hitler nie etwas gehört hatte, waren doch nicht ohne Eindruck geblieben. Das Gericht zog sich nun zur Beratung zurück, der schmächtige Angeklagte wurde hinausgeführt, an den kommandierten Zuhörern vorbei, die ohne Leidenschaft diskutierten, ob es diesmal wieder den Kopf kosten würde, oder ob der Mann mit ein paar Jahren Zuchthaus davonkäme. Die gemäßigten Optimisten waren in der Überzahl und behielten zudem recht.
Alle standen auf.
»Im Namen des deutschen Volkes«, sagte der Vorsitzende.
Arthur Kleebach sah auf den Boden und überlegte wiederum, ob die Russen nicht vielleicht doch besser waren als ihr Ruf, und die deutschen Gefangenen einigermaßen menschlich behandelten.
»… wegen Verbrechens gegen das Gesetz zur Abwehr heimtückischer Angriffe auf Volk und Staat zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt …«
Drei Jahre Zuchthaus, dachte Arthur Kleebach benommen, und schüttelte den Kopf. Drei Jahre Zuchthaus für drei Worte? Er wußte nicht, daß er in der Todeslotterie das große Los gezogen hatte, und daß die ungewöhnliche Milde des Sondergerichts in den Kollegenkreisen noch tagelang Gesprächsstoff bot, aber er tröstete sich schließlich mit dem Gedanken, daß der Krieg vorbei wäre, bis er die Strafe abgesessen hätte, und daß dann seine Kinder nach Hause kämen … soweit sie noch am Leben waren.
Diesmal war Oberleutnant Thomas Kleebach abgestellt worden, bevor er voll kv. war. Die verzweifelte Lage an allen Fronten erlaubte es nicht mehr, diese medizinischen Feinheiten zu beachten. Es fragte auch keiner danach, wieso ein Sohn für ein System sterben sollte, das den Vater wegen einer verzweifelten Äußerung in das Zuchthaus schickte. Es fragte auch keiner mehr nach einem deutschen Endsieg, und warum jeder Tag mit dem Blut der Söhne und mit den Tränen der Mütter bar bezahlt werden mußte, und warum dieser Wahnwitz die Familie Kleebach so hart getroffen hatte. Mittlerweile gab es in jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Straße Kleebachs.
So humpelte Thomas noch, als er die Witebsk-Front erreichte, und wieder einmal eine Kompanie übernahm, und wieder einmal hörte, daß jeder erschossen würde, der auch nur einen ›Fußbreit Boden‹ aufgäbe.
Nach dem Fall von Stalingrad hatte der Frühling zunächst den Kampf an der Ostfront aufgehalten. Er brachte zähen, für Freund und Feind undurchdringlichen Schlamm. Er verstärkte zunächst die deutsche Abwehr und verzögerte den russischen Vormarsch. Aber im Herbst 1943 gab es kein Halten mehr, und die Rote Armee griff auf einer Breite von tausend Kilometern an, schlug den Gegner zurück und nahm am 6. November Kiew, und erschütterte die deutsche Abwehr von Leningrad bis zur Krim.
Die Russen hatten ihren Schwerpunkt zunächst im Süden angesetzt, und ihre Stoßkeile drängten auf die Befreiung der Ukraine. Im Norden wurde der Ring um Leningrad gesprengt, nur die Heeresgruppe Mitte konnte in einer örtlichen Abwehrschlacht die ›Panther-Stellung‹ am Ostufer des Dnjepr zwischen Stary Bishoff, Orscha und Witebsk halten.
Ausgerechnet am Jahrestag von Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, am 22. Juni 1944, begann die letzte russische Offensive, die bis nach Berlin führen sollte.
Noch war es relativ still, und die Einheit Kleebach schob eine ruhige Kugel. Der Nachschub funktionierte, die Post kam regelmäßig, und die Verluste waren bescheiden. Aber eine Unruhe geisterte durch die HKL. Die Fanatiker wurden immer leiser, und es gab kaum mehr einen Landser,
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