Feldpostnummer unbekannt
der ernsthaft an einen Sieg glaubte.
Die Russen waren jetzt nicht nur mit Waffen überlegen, sondern wurden auch Meister der psychologischen Kriegsführung. Sie warfen Flugblätter ab, auf denen sie deutschen Überläufern gute Behandlung zusicherten, und sie installierten jetzt mehr und mehr in vorderster Linie Lautsprechertrupps des aus deutschen Kriegsgefangenen gebildeten National-Komitees Freies Deutschland, die in zunehmendem Maße Erfolg hatten.
Zwar war der Krieg auf beiden Seiten so verhärtet, daß die Angst vor der Gefangenschaft ein Überlaufen größeren Stils ausschloß, und man wußte sehr wohl, daß es sich bei dem sowjetischen Versprechen um taktische Propagandalügen handelte – aber die Worte zerrten an den Nerven und schwächten die Moral.
Im Panzerregiment Kleebachs hatte es im Lauf der letzten drei Wochen immerhin neun Überläufer gegeben, was der Kommandeur schließlich doch als Gekados-Sache an das OKW melden mußte, das als Gegenwaffe nur empfehlen konnte, mit besonderer Schärfe gegen die russischen Propagandatrupps vorzugehen.
Vielleicht mußte der Oberst eine Erfolgsziffer vorweisen, oder er wollte aus dem Stadium lähmender Untätigkeit heraustreten, um nicht an der immer beschissener werdenden Lage zu verzweifeln. Jedenfalls entschloß er sich zu einer Sonderaktion, zu einem Handstreich gegen die russischen Propagandatrupps.
»Meine Herren«, sagte er zu seinen Offizieren und deutete auf eine Karte, »wir haben hier eine Einbuchtung im Frontverlauf, die der Iwan benutzt, um uns mit seinem Mist zu beharken … Wir werden das also unverzüglich abstellen.« Er sah an seinen Offizieren entlang, sein Blick blieb an Oberleutnant Kleebach hängen. »Sie sind ja so'n Kriegsheld«, fuhr er fort, »also, nehmen Sie Ihren Haufen in die Hand, wir spielen auf der anderen Flanke Krieg, und Sie sehen zu, daß Sie in den Rücken des Feindes kommen … und dann hätten wir's ja. Kapiert?«
»Jawohl, Herr Oberst«, erwiderte Thomas mit gleichgültiger Stimme.
»Wiederholen Sie«, sagte der Kommandeur.
»Während die anderen Einheiten des Regiments die uns gegenüberliegenden Russen durch Scheinangriffe bluffen, versuche ich mit meinen Leuten in den Rücken des Feindes zu kommen und …«
»Nicht versuchen«, versetzte der Oberst scharf, »sondern es wird Ihnen gelingen.«
»Jawohl, Herr Oberst.«
Er ging zu seiner Kompanie zurück und erklärte seinen Leuten die Sache so provokativ, als wollte er sie zur Meuterei aufhetzen.
»Es ist ein Himmelfahrtskommando«, sagte er, »und wahrscheinlich geht es auch schief. Wenn wir diese Burschen vom Nationalkomitee schnappen, dann setzen die Iwans morgen andere ein, sie haben genug Gefangene und genug Übertragungsmöglichkeiten. Aber«, er warf mit angewidertem Gesichtsausdruck seinen Leuten die Zigarette vor die Füße, »Befehl ist Befehl, und wer ihn nicht ausführt, wird wegen Verweigerung erschossen … Ist das klar?«
»Jawohl«, erwiderten sie.
Es war Mai. In ihren Uniformen hing die Feuchtigkeit, in ihren Sinnen die Sehnsucht. Sie traten wieder einmal an, irgendwohin. In die Nacht hinein, einem taktischen Ziel entgegen. Vielleicht längst an den Feind verraten oder auch nicht. Dann würde es zu einem jener lokalen Bravourstücke kommen, die von den PK-Sprechern ausgewalzt wurden, um über die eigentliche Frontlage hinwegzutäuschen. Ein Rezept, das sich von Cäsar bis Goebbels nicht geändert hatte.
Sie folgten, einer hinter dem anderen, in Sichtnähe. Sie erreichten die ersten Drähte und durchschnitten sie. Auf der anderen Seite, zwei-, dreihundert Meter von ihnen entfernt, trat ein Landser auf eine Tretmine und flog in die Luft. Russische MGs schossen hinter ihm her, dann war es wieder still, finster, aus der Nacht schien ihnen der Feind mit hundert Augen entgegenzusehen. Die Kompanie Kleebach robbte weiter durch das Niemandsland, wartete darauf, ausgemacht und beschossen zu werden.
Plötzlich wehte es ihnen durch die Stille entgegen, und der Wind trug die Stimme auf seinem Rücken.
»Kommt zu uns«, rief der Sprecher, »werft eure Waffen weg … Sterbt nicht mehr für den Verbrecher Hitler, der sein Leben längst verwirkt hat.«
Oberleutnant Kleebach blieb betroffen stehen. Die Stimme? Diese Ähnlichkeit? Ein Spuk, dachte er.
Und da hörte er die nächsten Worte: »Kommt zu uns, dann ist der Krieg für euch aus, und ihr könnt wieder nach Hause.«
Achim, dachte Thomas Kleebach, und blieb wie gelähmt liegen.
Im gleichen
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