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es keine Besserung gibt.«
Jetzt stützte sich Maria Kleebach schwer auf den Arm ihres Mannes, dessen Gedanken noch hoffnungsloser waren als ihre. Er wußte, was es bedeutete, daß zwei seiner Söhne im Kessel von Stalingrad eingeschlossen waren, und er wußte es um so genauer, je besser er es vor seiner Frau verheimlichte. Er hatte sie bis jetzt getröstet, obwohl er selbst ohne Hoffnung war, und er hielt auch diesen Tag durch, täuschte Appetit vor und gute Laune, bis zum späten Nachmittag, da ihm alles über den Kopf zu wachsen schien und da er gequält aus der Lietzenburger Straße flüchtete, um die Ecke, irgendwohin, für zehn Minuten bloß, auf eine Atempause, auf einen Schnaps vielleicht.
Er war sein Leben lang Kneipen dieser Art aus dem Weg gegangen, und erst in den letzten Wochen hatte er mit dem Wirt eine Art Freundschaft geschlossen.
Es waren nur sechs, sieben Gäste da, und sie sprachen halblaut. Der eine hielt große Reden über die Befreiung Stalingrads, die anderen schwiegen. Der Wirt wollte ablenken und schaltete das Radio ein, drehte es laut, daß die zackige Marschmusik das Biertischgespräch übertönte. Er sah verstohlen zu Arthur Kleebach hin, der müde und geschlagen an einem Stehtisch stand, im dunklen Anzug. Da schob er ihm noch einen Doppelten zu und bedeutete ihm mit einer Geste, schnell auszutrinken, bevor es die anderen sahen.
Im gleichen Moment brach die Marschmusik ab. Ein markiger Sprecher sagte in die Stille hinein: »Wir erwarten in wenigen Minuten eine Sondermeldung.«
Arthur Kleebach hob den Kopf und begann wieder zu hoffen, dann hörte er jedoch an der England-Fanfare, daß es sich nicht um die Rettung von Stalingrad handelte, sondern um versenkte Brutto-Registertonnen, und er trank den Schnaps aus, hörte weg, sah durch den Mann hindurch, der ihm lärmend auf die Schulter schlug.
»Ein ganzer Konvoi … siebzehn Schiffe … 180.000 Brutto-Registertonnen«, rief er, »Mensch.«
Arthur Kleebach schob den Mann zur Seite, warf Papiergeld auf den Tisch und wollte gehen.
»Und wir gewinnen den Krieg«, brüllte der Mann. »Der Führer … das größte Genie …«
Arthur Kleebach drehte sich um und vergaß, daß er sein Leben lang unpolitisch gewesen war. Er dachte an Gerd, den in Frankreich Gefallenen, und an Fritz, der in einem kanadischen Camp auf das Kriegsende wartete, und an Marion, die sich für einen Kriegsblinden opferte, und an Thomas und an Achim, die in Stalingrad sind. Und einen kurzen, unbedachten Moment nur verlor er die Selbstbeherrschung und brüllte den Fanatiker an: »Für mich ist er ein Lump … ein Gauner, ein … ein … Verbrecher.«
Das Gespräch riß ab. Die Menschen sahen sich an. Der Wirt an der Theke hob die Hände hoch und schüttelte den Kopf. Einer ging ans Telefon. Zwei der Besucher hatten es eilig, so schnell wie möglich aus der Kneipe zu kommen.
Gerade als Arthur Kleebach zu seiner Familienfeier zurück wollte, kamen uniformierte Polizisten und nahmen ihn fest.
Und dann kam der Tag, von dem Achim Kleebach schon geträumt hatte, bevor er die feldgraue Uniform trug: Er wurde zum Leutnant befördert, denn mochte in Stalingrad jedwedes Leben vor die Hunde gehen, die Militärbürokratie lebte noch immer, und wenn die Wehrmacht ihre Soldaten schon nicht mit Nachschub beliefern konnte, so verfügte das Heeres-Personalamt auf dem Funkwege wenigstens Beförderungen am laufenden Band und außer der Reihe, fast eine Dienstgradinflation, die sich aber schon deswegen nicht auswirkte, weil sie ihre Leute nicht mehr erreichte. Sie lagen erfroren oder verhungert, erschossen oder erschlagen irgendwo zwischen den Trümmern der geborstenen Stadt.
Selbst wenn Achim Kleebach erfahren hätte, daß sich sein jugendheißer Traum erfüllt hatte, wäre es ihm jetzt gleichgültig gewesen. Seit er am Flugplatz Pitomnik Thomas begegnet war, den Unteroffizier Hanselmann, der Bulle, als anonymen Verwundeten aus der startenden Ju werfen wollte, woran er ihn gerade noch hindern konnte, war eine Saite in seinem Innern gerissen. Auf einmal erkannte er voll das Wesen seines ältesten Bruders und begriff, was hinter dem Defaitismus des jungen Offiziers, auf den man sich immer verlassen konnte, stand, und er bewunderte ihn und starrte ergriffen der Maschine nach, die längst hinter den Wolken verschwunden war, verstört und auch beglückt, daß wenigstens Thomas eine Chance hatte, nach Hause zu kommen.
Endlich löste sich die Panik auf dem letzten E-Hafen
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