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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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bis 700 Meter höher als die ihm begegnenden Kameraden der zweiten Welle, die ein anderes Planquadrat zu bombardieren hatten. Eine ›Liberator‹ war bei einem Flakvolltreffer krepiert, und eine zweite zog langsam, mit brennendem Motor, hinter dem Geschwader her; vier Mann der Besatzung waren mit dem Fallschirm bereits abgesprungen, aber der Pilot versuchte noch immer verzweifelt, die angeschlagene Maschine durchzubringen, obwohl er wußte, daß sich die deutschen Nachtjäger auf ihn stürzen würden, wenn er erst aus dem mulmigen Flakzauber heraus war.
    Freddy hielt ihren Kopf fest zwischen seinen Händen. Er drehte ihn zu sich. Sie sahen sich an. Ihre Augen standen ganz nahe beieinander. Und auf ihren Pupillen spiegelte sich der flackrige Schein des Kerzenlichts, und es sah aus, als ob die Lebensgier züngelte, Schatten warf, loderte, heiß machte. Und sie preßten sich aneinander, und der Mörtel fiel ihnen in das Genick, und das Haus ächzte, und unten im Keller roch es nach Angst und Menschen, aber sie merkten es nicht.
    Sie wollten leben und nicht sterben.
    Sie wollten sich amüsieren und nicht vor Angst verdämmern. Und sie pfiffen auf Planquadrate, Anflugwellen, Flakabwehr und Nachtjägerei. Und sie waren inmitten des Angriffszentrums, aber sie spürten es nicht. Sie hatten sich und wollten sich festhalten, obwohl sie morgen wieder auseinander mußten.
    »Du …«, sagte Gerda.
    »Kannst du nicht länger bleiben?« versetzte er. Sein Atem streifte ihr Gesicht. Eine Haarsträhne war Gerda in die Stirn gefallen; er blies sie weg. Er zog sie fester an sich. Es mußte schmerzen. Aber sie mochte den festen Druck, und es war wie ein Halt für sie.
    Und beide wollten in diesem Halt vergehen, um von dieser furchtbaren Angst erlöst zu werden, die jetzt doch in Gerda hochschoß, und sie hörte, wie der Lärm anschwoll und zu einem Inferno wurde, und durch die schmalen Seitwärtsschlitze der Verdunkelungsrollos erkannten sie, daß es ringsherum um sie brannte.
    Das trieb sie noch näher aufeinander zu. Und in diesem Moment mochten sie sich wirklich, spürten sie, daß sie aufeinander angewiesen waren, und wollten sich aneinander festhalten, und waren keine Gefährten des Leichtsinns mehr. Sie waren Menschen, die leben wollten, waren Mann und Frau, und für sie war dieses Erlebnis lauter und heißer und stürmischer als die heranrückenden Wellen der angreifenden Feindflugzeuge.
    »Wirst du mich morgen an den Bahnhof bringen?« fragte Gerda weich.
    »Ja.«
    »Wirst du mir auch einmal schreiben?«
    »Bestimmt.«
    »Und mitunter …«, sie wog die Worte sorgfältig ab, denn sie waren so oft mißbraucht worden, »gelegentlich auch einmal an mich denken?«
    »Ganz bestimmt, Gerda.«
    Er glaubte es auch. Es war nichts von der Leichtigkeit der Routine an ihm, mit der er sich sonst seine Abenteuer pflückte. Er fühlte sich auf einmal zu diesem Mädchen hingezogen, wie noch zu keinem anderen. Und Freddy überlegte nicht, wie er sie loswerden sollte, sondern sie festhalten konnte.
    Und Gerda spürte es, und auf einmal empfand sie nicht nur Gier, sondern eine starke, mächtige, drängende Zärtlichkeit. Sie sahen und erlebten es wie ein Wunder, zwischen berstenden Mauern und brennenden Häusern, zwischen Schreien und Stöhnen, Weinen und Beten und lautlosem Verzweifeln.
    Und die beiden waren dem allen entrückt, erhoben über jede Furcht, erhaben in ihrem Glück, und so hörten sie das Rauschen der ausgelösten Luftmine nicht, begriffen nicht, daß der Tod auf sie zukam und daß die Decke über ihnen, die sie in eine weiße, weiche Wolke daunenweicher Zärtlichkeit eingehüllt hatte, in der nächsten Sekunde zu ihrem Mörder würde.
    Sie starben Arm in Arm, in der gleichen Sekunde, und sie hielten sich noch im Tode, zwischen herabkrachenden Trümmern eingeschlossen, an den Schultern fest, als wollten sie sich nie wieder loslassen …
     

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