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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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zu werden.
    Die Lage war ernst. Es ging drunter und drüber. Hiobs-Meldungen von allen Abschnitten, Einbrüche über Einbrüche.
    Die Stukas spielten Feuerwehr. Unter ihren rollenden Einsätzen stabilisierte sich die Lage zuerst auf dem rechten Flügel bei Maubeuge. Die Alliierten verstanden es nicht, den Erfolg zu nutzen. Wieder scheiterte der entscheidende Schlag an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen Engländer und Franzosen, wieder wurde das Überraschungsmoment nicht ausgenützt, wieder versickerte die Offensive im örtlichen Bodengewinn.
    Der Gefreite Böckelmann, der beim Versuch, seinen Freund Gerd Kleebach zu retten, schwer verwundet liegen geblieben war, hatte das Schlamassel nicht bewußt erlebt. Britische Infanteristen legten ihm einen Notverband an und karrten ihn in ein englisches Feldlazarett nach Arras zurück. Er lag auf dem Operationstisch, als die deutschen Truppen die Stadt stürmten. Ein englischer Captain hatte ihn narkotisiert, ein deutscher Stabsarzt zog ihm neun Granatsplitter und nahm sich der beiden glatten Oberschenkeldurchschüsse an. Der Chirurg hatte Böckelmann ohne große Hoffnung wieder zusammengeflickt, aber nach ein paar Tagen überwand dessen bärenstarke Konstitution die Krise. Als das Fiasko von Dünkirchen seinem Höhepunkt entgegenging, war der Schwerverwundete bereits außer Lebensgefahr.
    350.000 Tommies waren in der Zange der deutschen Wehrmacht, man brauchte nur noch zuzugreifen. Hitler schwankte wie immer.
    Dazu kam noch Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, der dem Heer nicht den Sieg überlassen wollte, sondern sich für seine Waffengattung eine besonders dicke Scheibe absäbeln mußte. Während das britische Expeditions-Korps die ›Operation Dynamo‹, den Rückzug über den Kanal auf das britische Festland vorbereitete, behauptete Göring, die Evakuierung allein aus der Luft, ohne Unterstützung durch das Feldheer, verhindern zu können. Zum erstenmal versagte die deutsche Luftwaffe, die sich bisher als Wunderwaffe erwiesen hatte. Erstens lagen ihre E-Häfen zu weit vom Operationsraum entfernt, und dann zog die britische Heimatverteidigung Hunderte von Jägern ab, die die Einschiffung und Überfahrt deckten. Plötzlich war die deutsche Luftüberlegenheit beim Teufel, und der eitle, siegessichere Göring blamierte sich bis auf die Knochen.
    Deutsche Divisionen standen Gewehr bei Fuß und sahen zu, wie das gesamte britische Expeditions-Korps mit vergleichsweise geringen Verlusten zu der so dringend nötig gewordenen Heimatverteidigung zurückgeschafft wurde. Keiner begriff, warum man die Franzosen schlug, und die Engländer laufen ließ. Und so sehr auch die Wochenschau die erbeuteten Materiallager von Dünkirchen kurbelte, die ›Operation Dynamo‹ wurde für Deutschland zu einer einmaligen Niederlage innerhalb eines Sieges.
    Für den Gefreiten Böckelmann war der Westfeldzug längst vor dem Fall von Paris beendet. Als die französische Hauptstadt besetzt wurde, durfte er zum erstenmal kurz aufstehen. Und als der neue französische Regierungschef Pétain im Wald von Compiègne die Kapitulation unterzeichnete, versuchte er zum erstenmal ohne Stock durch den Garten des Lazaretts zu humpeln. Er war zu einem medizinischen Paradepferd geworden, das die Feldärzte stolz bei allen Besichtigungen aufzäumten, aber Böckelmann wollte weniger als Reklame der Kriegs-Chirurgie herumlaufen – ins Heimat-Lazarett wollte er, nach Berlin.
    Im Juli wurde er verlegt. Anfang August sollte er seinen ersten Ausgang erhalten und wußte, daß er in die Lietzenburger Straße zu führen hatte. Aber Gerds Vater kam ihm zuvor, und besuchte ihn im Lazarett. Er stellte keine Frage; er hatte eine Bitte. Sein Gesicht wies aus, wie schwer ihn selbst der Verlust Gerds getroffen hatte.
    »Es ist nicht meinetwegen«, sagte er, und sprach schwer an den Worten, »ich will und muß schon irgendwie damit fertig werden. Aber meine Frau … verstehst du, Heinz?«
    Böckelmann nickte und sah auf den Boden.
    »Geh zu ihr hin«, bat Vater Kleebach, »und sei behutsam … Vielleicht! … vielleicht wird es ihr doch leichter, wenn sie erfährt …«
    Sie saßen noch lange schweigend nebeneinander. Sie verstanden sich auch so und ohne weitere Absprache.
    Auf seinem täglichen Gang durch seinen Bezirk hatte Vater Kleebach in der Zwischenzeit wieder einigen Müttern und Frauen die letzte Nachricht überbringen müssen, und er wurde jedesmal schmerzhaft daran erinnert, daß auch seine Söhne Uniform

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