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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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fragte er halblaut.
    Die beiden gingen auf den Gang. Alle sahen ihnen nach. Nur Arthur Kleebach, der Briefträger, hatte begriffen, um was es ging, hatte das kleine Einschreibepäckchen gesehen und kannte den Inhalt, und wußte, was es bedeutete: eine Armbanduhr, eine Brieftasche, ein paar Fotos, die letzten Habseligkeiten eines Soldaten, der gefallen war. Gerd oder Fritz? dachte er. Er sah zu seiner Frau hin, überlegte, wie er den ungeheuren Schlag, der auf ihn gefallen war, für sie mindern könnte, und sah gequält, wie ihre Hände über den Brief Gerds strichen, als ob sie ihn streicheln wollten, als ob sie ihn festhalten müßten.
    Der Ortsgruppenleiter wirkte verstört, als er zurückkam. Nichts mehr an ihm war markant. Dem Mann mit dem paraten Sprachschatz waren die Worte ausgegangen.
    »Es tut mir leid«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang belegt, blechern, »daß ich …« Er verlor den Faden.
    Ihre Augen brannten auf seiner Haut. Pg. Rosenblatt reichte Mutter Kleebach die Hand, aber es schien, als ob er sich an ihr festhalten müßte. »Ihr Sohn …«
    »Gerd?« fragte sie wie gehaucht.
    Er nickte schwer. Die Stille wirkte hohl, gespannt, unheimlich.
    »Gefallen bei Arras …«, sagte er, um es schnell hinter sich zu bringen.
    Wie von selbst stand Vater Kleebach neben seiner Frau und stützte sie. Seine Lippen waren zu einem weißen, blutleeren Strich zusammengepreßt, und in seinem Blick, der Trost und Stütze sein sollte, war nichts als Verzweiflung. Er spürte, wie Marias Körper zitterte, und hoffte und fürchtete, daß sie gleich weinen möchte, und der Urschmerz der Mutter, den sie durchstehen mußte, nahm ihm fast das eigene Leid.
    Die Stille im Raum wirkte laut. Arthur Kleebach sah nicht, wie der Hoheitsträger ging, bemerkte nicht, daß er nicht wie sonst sagte: »Für Führer, Volk und Vaterland« und heute selbst den Hitlergruß vergaß.
    »Mutter«, sagte er leise und ließ sie nicht los.
    Hinter ihr spielte der Wind mit der Fahne vor dem Fenster. Nebenan schilderte ein Radio-Sprecher mit schmetternder Stimme den Marsch deutscher Truppen durch den ›Arc de Triomphe‹. Die Menschen standen in Gruppen beieinander und feierten den Fall von Paris.
    Auf der Straße gab es nur Sieger, bei den Kleebachs nur Verlierer.
    Hier blieb es still, stumm. Durch ihr Wohnzimmer wehte nicht der Atem des Triumphes, hier stand die Luft brackig wie über einer offenen Gruft.
    »Komm«, sagte Arthur Kleebach behutsam zu seiner Frau und wollte sie hinausführen.
    Frau Kleebach stützte sich schwer auf den Tisch. Ihre Augen waren nach innen gekehrt, als suchten sie etwas. Ihr Gesicht arbeitete wie unter einer Anstrengung – es war Qual und Hoffnung, Angst und Spannung – so mußte sie ausgesehen haben, als sie vor zwanzig Jahren Gerd das Leben gab, und es schien, als müßte sie es ihm zum zweitenmal schenken und begriffe erst allmählich, daß sie es nicht könnte …
    Wenn sie nur nicht so unheimlich beherrscht wäre, dachte Arthur Kleebach und verfolgte, wie ihr Blick wieder zurückkam und wie jetzt die Züge des Frauengesichtes müde und alt wurden.
    »Nein«, sagte sie leise und schüttelte den Kopf.
    Keines ihrer Kinder würde je das wehe, wunde Lächeln vergessen, das jetzt in ihrem Gesicht zitterte.
    Langsam, wie unter einem Zwang, griff sie nach dem zerknitterten Feldpostbrief, der vor ihr lag, und von dem sie nunmehr wußte, daß er von einem Toten stammte.
    Sie alle sahen es. Sie alle hatte es getroffen. Sie alle konnten die Nachricht noch nicht ganz erfassen. Aber sie wußten auch, daß die Frau mit den Silberhaaren und dem müden, traurigen Gesicht es am schwersten von ihnen haben würde.
    »Bitte …«, sagte Arthur Kleebach und wollte ihr den Brief wegnehmen.
    »Nein …«, erwiderte sie leise.
    Sie öffnete ihn ganz vorsichtig, als berührte sie blattfeines Porzellan. Das Rascheln des Papiers fuhr wie eine Säge durch aller Nerven.
    »Bitte, Mutter.« Vater Kleebach wollte noch einmal nach dem Brief greifen, aber es wurde nur eine flehende Geste.
    »Nein …«, erwiderte sie, »ich will das jetzt …«
    Sie war ganz ruhig, ganz gefaßt, als sie Gerds letzte Worte las, ganz langsam, als spürte sie bereits, daß ihr noch ein Leben lang Zeit blieb, einen einzigen Brief zu lesen.
    »Meine liebe Mutter, mein lieber Vater, eben habe ich mit dem Oberleutnant verhandelt, und er versprach mir einen Sonderurlaub zu Eurem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag, falls wir rechtzeitig in Paris sind,

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