Feldpostnummer unbekannt
hatte, daß nur er ihr zur Silberhochzeit ihre Lieblingsblumen schenken durfte.
Und dann lag noch vor ihr ein Brief, den ihr Mann schon zwei Tage ungeöffnet in der Tasche getragen hatte, um ihn als Überraschung auf den Gabentisch zu legen. Sie wäre gerne in ihr Schlafzimmer gegangen, um ihn in Ruhe zu lesen, und mit Gerd ein paar Minuten allein zu sein. Aber jetzt schickte es sich nicht, und in gestohlener Hast wollte sie es nicht tun.
»Jedes Kind …«, fuhr Pg. Rosenblatt fort, »das eine deutsche Mutter ihrem Führer schenkt, ist eine Schlacht, die das ganze Volk gewinnt …«
Mutter Kleebach lächelte fein, und doch mit einer Spur Spott, denn eigentlich hatte sie die Kinder ihrem Mann geschenkt, und so tauschte sie jetzt mit Thomas, dem Ältesten, einen raschen Blick gegenseitigen Verstehens.
Thomas hatte die Arme auf den Tisch gestützt, und sein Gesicht wirkte fern, verschlossen. Er war breit und schroff, alles andere als ein bequemer Typ – äußerlich dem Vater am ähnlichsten, nur einen Kopf größer; einer, der nie ein Wort zuviel sagt und selten spontan reagiert.
Er ist zu alt für seine vierundzwanzig Jahre, dachte Maria Kleebach, aber er wird seinen Weg gehen, denn er weiß, was er will – wenn sie auch nicht immer verstand, was er wollte. Sie wußte, daß Thomas der einzige unter ihnen war, der ›politisch‹ dachte. Die Zeit hatte nicht vermocht, über Gebühr in die Familie einzudringen. Der rechtschaffene Vater wollte die Kinder zu anständigen Menschen erziehen, und er dachte schlicht, daß sie dann von selbst zur braunen Bewegung stoßen müßten, falls diese eine saubere Sache sei. Im übrigen sollten sie es im Leben einmal besser haben als er, obwohl es ihm eigentlich nie schlecht gegangen war. Sie waren tüchtig und so geraten, wie es sich der Beamte nur wünschen konnte.
»Seien Sie stolz auf sich, Frau Kleebach«, fuhr der Ortsgruppenleiter fort, »und wenn ich mich so umsehe, dann haben Sie etwas Großes vollbracht … Sie haben uns fünf Soldaten …«, seine Augen blieben einen Moment an der achtzehnjährigen Marion hängen, die errötete, »… und sicher auch eine zukünftige Mutter geschenkt, die immer zu Ihnen aufsehen wird …«
Thomas zog die Mundwinkel hoch. Marion hielt sich das Taschentuch vor den Mund. Achim, der Pimpf, saugte die Worte wie ein Schwamm in sich auf, und Freddy, der immer wußte, worauf es ankam, klapperte unmißverständlich mit seinem Eßbesteck. Vater Kleebach war beherrscht und geduldig wie immer.
»Ich komme zum Schluß«, sagte der Hoheitsträger. Er griff in die Tasche und holte wie ein Zauberer, der die weiße Taube flattern läßt, ein Etui aus Kunstleder hervor, entnahm ihm einen Orden am Band, ging mit gewichtigen Schritten auf Frau Kleebach zu und sagte: »Ich verleihe Ihnen hiermit im Auftrag des Führers das Ehrenzeichen der deutschen Mutter in Silber.«
Er legte ihr das Band behutsam um den Nacken und schüttelte ihr bewegt die Hand. Die Frau mit der zierlichen Gestalt, dem feinen Gesicht und den wachen Augen stand ein wenig befangen vor ihm.
»Na, wie fühlst du dich, Mutter?« rief Achim begeistert und gratulierte ihr als nächster, bis die resolute Nachbarin, die so stolz auf ihren gelungenen Gänsebraten war, eintrat und das richtige Wort fand. »Warum ißt denn hier keiner?« fragte sie schmollend. »Es wird doch alles kalt … und ich hab' mir so viel Mühe gegeben.«
»Entschuldigen Sie, meine Liebe«, antwortete Pg. Rosenblatt und nickte ihr betont volkstümlich zu.
Endlich war es so weit. Da klingelte es wieder.
»Ich mach' schon auf«, sagte Vater Kleebach und ging zur Tür.
Als er seinem Vertreter gegenüberstand, der heute den Dienst für ihn übernommen hatte, erschrak er; ein eisiger Hauch schien hinter dem Kollegen mit dem bekümmerten Gesicht herzuwehen.
»Ist etwas los?« fragte er hastig.
»Ja, Arthur, das heißt … nein eigentlich …«
Der Mann sah die Familientafel und es wurde ihm schlecht, vor seinen Augen drehte sich ein Propeller, dessen Flügel gleich niedersausen würden, auf jeden einzelnen von denen, die hier in fröhlicher Runde saßen. Er wich ihren Augen aus, zog den Kopf zwischen die Schultern, ein würgendes Gefühl nahm ihm die Worte.
Dann sah er durch die Luftschraube hindurch die braune Uniform von Rosenblatt, und nie war sie ihm schöner erschienen, und er griff nach dem Hoheitsträger wie nach einem Rettungsring im wirbelnden Sog.
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
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