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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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daß Fritz, der Zwillingsbruder des gefallenen Gerd, vermißt sei.
    In dieser Sekunde wuchs der schlichte, bescheidene Beamte über sich, über sein Leben und über die Kraft seiner Nerven hinaus und faßte schon im ersten Impuls den wahnwitzigen Entschluß, seiner Frau und seiner Familie gegenüber die Hiobsnachricht um jeden Preis, den er auch zahlen mußte, zu unterschlagen …
    Arthur Kleebach ging langsam, leicht gebeugt. Er schritt über das harte Pflaster, aber seine Beine wurden so müde dabei, als ob sie über eine sumpfnasse Wiese liefen. Er war blicklos für die Straße, taub für ihren Lärm. Er glaubte die ganze Last dieser Welt auf seinen Schultern zu spüren.
    Zu Hause warteten sie längst auf ihn. Es war schon eine halbe Stunde über der Zeit, und das mußte auffallen, denn das Leben des Postbeamten war Pünktlichkeit, Ordnung im Kleinen wie im Großen; es war Fürsorge und Glück, Liebe und Erfolg. Und nun hatte der Krieg zum zweitenmal nach dieser stillen Welt gegriffen.
    Zwei Mädchen bogen um die Ecke.
    Kleebach wäre beinahe mit ihnen zusammengeprallt. »Verzeihung«, murmelte er.
    »Bitte«, erwiderte das eine Mädchen.
    »War doch Absicht«, versetzte das andere mit den Sommersprossen im Weitergehen, »so ein alter Molch …«
    Arthur Kleebach hörte es und verstand es nicht. Er blieb einen Moment stehen und sah den beiden zerstreut nach.
    »Der Leutnant ist so charmant«, fuhr die Sommersprossige fort, »und stell dir vor, er will mich sogar heiraten.«
    »Martin?«
    »Nein … Gerd doch«, erwiderte die Freundin.
    Gerd … dachte Vater Kleebach, Gerd ist tot, liegt irgendwo in Nordfrankreich, vielleicht ein Birkenkreuz mit einem Stahlhelm darüber, so man den Helm nicht gespart hatte, weil man ihn noch brauchte. Birkenholz gab es noch genug. Gerd, dachte Vater Kleebach. Der erste Schlag. Wie schwer hatte es Maria, seine Frau, getroffen! Sie würde ihn nie verwinden, niemals, und dazu das kranke Herz, und die stille Tapferkeit, und der simulierte Schlaf. Mochten die Söhne den Krieg gewinnen, die Mütter würden ihn immer verlieren.
    Und jetzt Fritz, der andere der Zwillinge. Vermißt mit ausgebranntem Motor, 30 Meter über dem Meer, in das Kameraden ihn stürzen sahen. Nicht einmal ein Birkenkreuz, dachte Arthur Kleebach.
    Aber er war fühllos gegen den eigenen Schmerz, obwohl es sich um den Jungen handelte, den er genauso liebte wie alle anderen, für die er lebte und für die er jedes Opfer gebracht hätte. So grausam er es selbst fand, für ihn ging es jetzt weniger um Fritz, es ging um dessen herzkranke Mutter, die diese zweite, entsetzliche Nachricht nicht überleben würde, bestimmt nicht.
    Und der untersetzte, bescheidene Mann, der über sich und seine Kräfte hinauswuchs, fragte nicht mehr, ob er seine Frau belügen dürfte. Er mußte es. Er wollte nicht auch noch der Henker ihres Lebenswillens werden.
    Die nächste Ecke. Zwei Straßen noch. Wieder hingen die Fahnen aus den Fenstern. Das Tuch flatterte tief. Ein Hakenkreuz streifte Kleebachs Gesicht. Er wischte die Flagge mit abwesender Geste beiseite. Eine Frau kam ihm entgegen, die einen elfjährigen Jungen vor sich herschob. Spinale Kinderlähmung.
    Wie gut, dachte Arthur Kleebach einen Moment verzweifelt, wie gut wäre es, wenn die Kinderlähmung alle meine Söhne gelähmt hätte!
    Er holte jetzt schneller aus. Sein Gesicht wirkte grau, ungesund, wie versteinert. Und in zwei Minuten stand er in der Küche, hatte den Deckel des Kochtopfes zu heben, den Duft einzuziehen und gute Laune zu verbreiten. Vielleicht schaffte so etwas Heinrich George auf der Bühne, aber Arthur Kleebach war kein Schauspieler, und sein Schicksal kein Theater.
    Er stand vor der Wohnungstür. Er hatte den Schlüssel in der Tasche, aber er klingelte, um noch ein paar Sekunden zu schinden. Im Treppenhaus begegnete ihm ein Soldat auf Krücken, dessen linkes Bein in Frankreich geblieben war. Hätten Sie Fritz doch auch das Bein abgeschossen, dachte sein Vater zerschlagen, er lebte dann wenigstens noch, und seine Mutter und ich hätten ihn nicht minder lieb.
    Dann stand er Maria gegenüber. Er war noch blass, aber schon gefaßt.
    »Ist dir nicht gut?« fragte sie.
    »Weiß nicht«, antwortete er. »Ich hab' so einen miserablen Kaffee getrunken.«
    »Nimm einen Schnaps«, rief Thomas, der Älteste.
    »Lieber nicht«, versetzte sein Vater lächelnd, »du weißt doch, daß ich nichts vertrage.«
    »Iß wenigstens einen Teller Suppe.«
    »Ja«, antwortete er und

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