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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Stunde lang. Er redete sich die Kehle trocken und den Mund fransig. Dann faßten je zwei Mann eine Flasche Bier. Es war lauwarm, aber doch besser als nichts. An ihren Kehlen zählten sie gegenseitig die Schlucke mit.
    »Siesta?« sagte Achim, und lehnte sich zurück.
    »Vaterlandsverteidiger sucht Spielkameradin«, begann sein Kumpel wieder, »jetzt war so 'ne schwarze Itakerin recht!«
    »Angeber!«
    »So eine wie gestern … wärst mitgekommen, blöder Hund!«
    »Doch immer das gleiche«, versetzte Achim altklug, obwohl er keinerlei Erfahrung hatte.
    Ein Oberleutnant zwängte sich über das Oberdeck. Er sah, daß die meisten Landser wegen der Hitze die Schwimmwesten abgelegt hatten, und fluchte ausgiebig.
    »Zieht sofort diese verdammten Dinger an!« brüllte er.
    Aber sein Befehl blieb ohne Erfolg, nicht zuletzt, weil er selbst keine Schwimmweste trug.
    »Die Italienerinnen«, quasselte der Kumpel weiter, »die Flavia zum Beispiel, Mensch, Paprika im Blut, und …«
    »Volle Deckung!« schrie in diesem Moment ein Witzbold vom Ausguck.
    Sie purzelten fluchend durcheinander. Achim kroch unter seinen Sack und sagte grinsend zu seinem Kumpel: »Weck mich, wenn alles vorbei ist.«
    Der englische Verband flog in großer Höhe das Ziel an und nahm erst einmal Maß. Den viel zu früh und wild darauflosfeuernden Zerstörer ließen die Tommies links liegen. Die Korvetten konnten ihnen ebenfalls nichts anhaben. Auf die dicken Transportpötte hatten sie es abgesehen. Bis die Engländer den ersten Angriff flogen, hatte sich der deutsche Konvoi schon weit auseinandergezogen.
    Dann schwirrten sie heran. Von hinten. Spitfires. 200 Meter Höhe.
    Das Flakgeschütz fuhr herum. Sturzflug. Bordkanone. MG-Feuer. Die zweite Spitfire, die dritte, die fünfte. Silberne Pfeile spuckten goldene Knöpfe, mitten hinein ins Schwarze, ins Volle und kein Schuß ging daneben, es sei denn, ein Toter wurde mehrmals erfaßt.
    Der Hauptstoß des Angriffs lag an Backbord. Achim Kleebach kauerte auf der anderen Seite. Die Panik hatte ihn unter seinen Klamotten hervorgeschüttelt. Er preßte sich gegen die Decksplanken und versuchte, sich klein und flach zu machen wie eine Wanze. Er starrte nach oben. Noch zwei Spitfires, dachte er erleichtert, gleich vorbei, der Zauber. Würgend verspürte er plötzlich den Hass auf die Kameraden an Unterdeck, die Skat dreschen konnten, während oben der ›Heldentod‹ umging.
    Als die letzte Spitfire abgedreht hatte, hörten sie das Gebrüll der Schwerverwundeten und sahen den Blutstrom, der über die Decksplanken lief.
    »Das war noch gar nichts«, tröstete der Flak-Maat, »die kommen gleich wieder.«
    Ein Feldwebel war von einer MG-Garbe in der Mitte des Leibes auseinandergesägt worden. Ein blutjunger Soldat sah es und lief wie gehetzt davon, stur nach vorne, wie ein Amokläufer, über Tote und Verwundete hinweg; er stieß mit dem Fuß gegen den Kopf eines Kameraden, den ein Geschoß vom Rumpf gerissen hatte, schnappte über und sprang über Bord.
    Die Schreie waren gräßlich, entmenscht. Hunderte von Händen griffen nach den Unverletzten und hängten sich an sie.
    »Los«, brüllte ein Offizier, »Luft schaffen! Werft die Toten über Bord!«
    Achim schuftete wie ein Roboter. Gerade als er den vierten ausließ, merkte er, daß der Mann nicht tot war, bloß verwundet. Er starrte ihm entsetzt nach, aber es war zu spät.
    »Los, faß an!« brüllte ihm sein Kumpel wieder zu.
    Da kamen die Spitfires wieder heran. Diesmal von rechts. Im ersten Moment waren die hilflosen, menschlichen Zielscheiben froh darüber, daß das Geschrei der Verwundeten vom fetzenden Motorengeräusch gefressen wurde. Diesmal lag Achim mitten im Feuer, aber es sparte ihn aus. An den Niedergängen zu den Decks gab es einen Tumult. Die Soldaten von unten hatten die Nerven verloren und drängten nach oben; die Landser vom Oberdeck hasteten in blinder Panik nach unten. An den Einsteigluken bildeten sich dicke Menschentrauben; die Bordkanonen der Spitfires übersahen sie nicht.
    Plötzlich drehten die Briten ab.
    »Oberfaul!« fluchte der Maat von der Flak, »jetzt kommt das dicke Ende!«
    Achim glaubte es ihm nicht. Er sah um sich, betrachtete die Bilder des Schreckens, sah auf Sterbende, auf Verstümmelte, und spürte trotzdem sinnlose Erleichterung; die gespannten Nerven rissen wie ein Seil, und so stand er da und lachte, laut, idiotisch, hysterisch, tief von unten herauf. Bis ihn sein Kumpel mit einem kräftigen Fußtritt wieder zur Vernunft

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