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wurde, und wußte, daß er ihn bewußtlos geschlagen hatte, grinste irre, sah, wie der Ohnmächtige die Schlaufe losließ, und faßte sofort nach. Und dann drehten die Wellen ihn um, und in diesem Moment sah Achim zum erstenmal sein Gesicht und begriff entsetzt, daß er den eigenen Kumpel geschlagen hatte, für den es nie mehr eine Flavia geben würde, nie mehr …
Sieben Stunden später fischte ein deutsches U-Boot das Floß auf. An den Schlaufen hingen noch fünf Lebende, darunter Achim Kleebach …
Der Urlaub des Panzerleutnants Thomas Kleebach ging zu Ende und war seltsam genug verlaufen: der junge Offizier, ein Mann, ein Kerl, und – was er selbst nie zugegeben hätte – ein dekorierter Kriegsheld noch dazu, pflegte jedes Ziel von vorne anzugehen, frontal und offen. Jetzt aber trat er in seltsamer Platzangst schon seit einer Woche auf der Stelle. Das Ziel hieß Luise, wohnte zwei Treppen höher und war seine Jugendfreundin.
Wenn er sich nicht bei seinen Eltern aufhielt, war er bei ihr. Wie heute. Er hatte Blumen mitgebracht, dunkelrote Rosen, die er der jungen Frau fast verlegen überreichte. Nach langem Anlauf wollte er heute endlich den Sprung wagen.
Sie saßen nebeneinander in der gemütlichen Wohnung. Sie waren nicht ein einziges Mal ausgegangen. Sie wollten allein bleiben, unter sich, ohne von dritten gestört zu werden, beim vertrauten Gespräch, bei der Flasche Wein und der zärtlichen Musik, die das Radio jeden Abend an sie verschwendet hatte.
»Alles in Ordnung bei euch zu Hause?« fragte Luise.
»Na, du weißt ja«, erwiderte Thomas, »Mutter kann sich einfach mit Gerds Tod nicht abfinden … aber Vater macht mir augenblicklich fast noch mehr Sorge …«
»Dein Vater?« unterbrach ihn Luise verwundert.
»Ja … seit zehn Tagen kommt er mir so verändert vor … und das Schlimmste ist, daß er es weiß und sich nichts anmerken lassen will.«
»Vielleicht hat er Ärger im Dienst?«
»Glaube ich nicht«, entgegnete er, »ich kenne ihn zu gut.«
»Vielleicht bildest du es dir bloß ein.«
»Hoffentlich«, antwortete Thomas abschließend.
Sie saßen nebeneinander, wie immer, betrachteten sich zu Beginn des Abends fast heimlich und dann direkt. Luise mochte seine Manier zu reden, und mehr noch seine Gewohnheit zu schweigen. Am liebsten jedoch hatte sie Thomas' Art, sie anzusehen: seine offenen Augen wiesen das ganze Gefühl aus, das er für sie empfand. Es waren Augen, die verträumt wirkten und nüchtern zugleich, zärtlich und doch kühl, Augen, die sie streichelten und die doch keine Hände hatten, um nach flüchtiger Gelegenheit zu greifen.
»Wann mußt du fahren?« fragte die junge Frau, obwohl sie es wußte.
»In drei Tagen«, antwortete er.
»Schon?«
»Ja.«
Sie lehnte sich in die Kissen zurück. Sie war klein und grazil, hatte wuschelige Haare, eine zierliche Nase und das dazu passende Kinn, gerade so stark ausgeprägt, daß es Energie auswies, aber nicht so dominierend, daß es unweiblich erschienen wäre.
»Und wann kommst du wieder?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber du wirst wiederkommen.«
»Weiß ich auch nicht«, versetzte Thomas ganz brummig.
»Aber ich …«, erwiderte Luise.
»So … du?«
»Ja … ich spüre das … man spürt es immer, wenn man …«
»… wenn man was?« half er nach.
»Wenn man um einen Menschen Angst hat«, antwortete sie schlicht.
»Luise …«, begann er.
»Ja, bitte?«
»Ich möchte …« Der Satz versickerte wie Wasser im Sand.
»Was möchtest du?« Luise richtete sich auf. Ihr Gesicht kam ihm näher. Ihre Augen waren sich so nahe, daß sie ineinander versanken. Thomas sah, wie ihre Lippen leicht zitterten und sich dann schlossen. Er spürte ein wirbeliges Gefühl im Kopf und merkte zugleich, daß seine Arme steif wurden, klamm, wie eingeschlafen. Und er wandte sich ab, sah auf die Standuhr, und bewilligte sich noch einmal zehn Minuten, bevor er fragte, ob Luise seine Frau werden wollte.
Sie lächelte. Sie hatte ihn verstanden. Sie war glücklich darüber und fast ein wenig belustigt. Sie gehörte zu ihm. Sie wußte es wie nie zuvor. Sie war genau um die Spur heiterer und lebenslustiger, als sich Thomas zu ernst zeigte. Er brauchte eine Frau wie sie, die ihn gelegentlich mitriß und mit sanftem Nachdruck beibrachte, daß das Leben nicht nur aus Pflichten besteht, sondern auch Freuden kennt.
Luise schlug die Beine übereinander. Sie wollte kokett sein, und sie war es auch. Sie zündete sich eine Zigarette an und
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