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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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weg, hielt eine Zigarette in der Hand, betrachtete sie nachdenklich, brach sie in der Mitte auseinander und gab nach kurzem Zögern dem frischernannten Oberleutnant das etwas kleinere Stück. Er reichte Thomas Feuer und dann lobte er ihn. »Weiß nicht, wie Sie das machen, Kleebach«, sagte er, »Sie kochen doch auch bloß mit Ruhr-Wasser … und trotzdem sind Ihre Kerle noch in Ordnung …« Thomas dämpfte die Stimme. »Ich suggeriere ihnen Hoffnung«, antwortete er.
    »Aber das tun wir doch alle«, entgegnete Oberstleutnant Tollsdorf.
    »Na, vielleicht lüge ich dann besser«, versetzte Kleebach gereizt.
    »Schade«, erwiderte der Kommandeur, und sein Vogelgesicht grinste wieder, »für 'ne Laufbahn im Propagandaministerium ist es leider jetzt zu spät … Wenn die Ablösung da ist, melden Sie sich bei mir mit Ihren müden Kriegern.« Er tippte mit gespreizten Fingern an den Mützenrand, richtete sich auf und stapfte gleichmütig aus der Stellung, bot den Russen seinen Rücken als klares Ziel, aber sie taten ihm den Gefallen nicht. Er merkte es, zuckte die Schultern und ging langsam weiter.
    Eine Stunde später kam die Ablösung. Kleebachs Leute vom rechten Flügel kamen zuerst zurück, auf der linken Seite mußten die Neuen erst noch eingewiesen werden.
    »Putzke!« befahl Oberleutnant Kleebach.
    Aber der Unteroffizier war verschwunden ohne sich abzumelden.
    »Wo steckt er denn?« fragte er einen verbiesterten Stabsgefreiten.
    »Weeß ick nich … is weggegangen …« Er deutete in Richtung des verfallenen Kellers.
    Der Kompanieführer schaltete sofort. Thomas überkam schon müde Gleichgültigkeit. Was soll's? dachte er, warum sollten sie sich nicht erhängen oder erschießen, bevor sie hier verhungern oder erfrieren? Keiner kommt hier durch, keiner hat eine Chance, und da ist es doch besser, sie bringen es so schnell wie möglich hinter sich … ich führe doch keine Truppe, ich verwalte bloß den Heldentod, und wenn sich einer vordrängeln will, na bitteschön … Dann nahm er sich wieder zusammen, zeigte die Haltung, die er von seinen Leuten verlangte. Vielleicht kommen die Ju's doch noch einmal durch, überlegte er, vielleicht wird einer verwundet noch herausgeflogen oder überlebt in einem russischen Kriegsgefangenenlager den Krieg, und vielleicht hätte ausgerechnet Unteroffizier Putzke, der Rübenkopf, diese Chance …
    Oberleutnant Kleebach ging vorsichtig auf den Keller zu, nahm ungesehen die Tür, schob sich sichernd weiter, wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, hörte das Geräusch rechts, folgte ihm und sah den Rübenkopf.
    Der Unteroffizier stand nur ein paar Meter neben ihm. Sein Gesicht war nicht blass, sondern gerötet, und es wies eine Entschlossenheit aus, so stark, daß Kleebach ihn nicht anrief, sondern einen Moment lang mit mehr Spannung als Teilnahme das Vorhaben Putzkes verfolgte.
    Der Mann hatte den Waffenrock ausgezogen, das Hemd hochgekrempelt und um die Haut einen Lumpen gewickelt und den ausgestreckten linken Arm auf ein Stück Mauer gelegt. Er prüfte die Lage, und jetzt begriff Thomas, daß sich der Rübenkopf selbst verstümmeln wollte, sah das Eisenrohr, mit dem der Unteroffizier mit der rechten Hand ausholte, wollte dazwischen springen und blieb doch regungslos stehen, sah, wie der Hieb auf den Arm prasselte, auf die Stelle mit dem Lumpen, verfolgte, wie der Rübenkopf in die Knie ging und wieder aufstand, vorsichtig seinen linken Arm bewegte und verzweifelt feststellte, daß er nicht fest genug zugeschlagen hatte.
    »Quatsch!« sagte Oberleutnant Kleebach halblaut.
    Unteroffizier Putzke fuhr entsetzt herum. »Melden Sie mich doch! … Bringen Sie mich vor das Kriegsgericht! … Das ist doch noch ein Vergnügen, gemessen an …«
    »Schreien Sie nicht so!« erwiderte Thomas ruhig.
    »Ich will nach Hause«, fuhr der Rübenkopf fort, und sein Gesicht war so verzerrt, daß man sich vor ihm fürchten konnte, »ich muß dieser Schlampe …«
    Kleebach erschrak, obwohl das in Stalingrad schon eine Kunst war. Nach Hause wollten sie alle, jedoch aus Liebe, nicht aus Hass; und keiner von ihnen hatte bisher diese entmenschte, furchtbare Kraft gehabt, sich mit einem zerschlagenen Arm die Flugkarte, die mehr als fragliche Flugkarte, zu erkaufen. Ist denn der Hass die stärkste Empfindung? fragte sich Kleebach verschwommen und betrachtete Putzke, mit dem er von heute an immer Scherereien haben würde, der nicht mehr zu halten war, und dessen

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