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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sich, ob es sich lohnte, und sie kamen nicht dazu, eine Entscheidung zu treffen, denn am nächsten Tag wurden sie zum Flugplatz Pitomnik verlegt, um den Abtransport der Verwundeten zu sichern …
    Die dritte Verwundung des Oberleutnants Kleebach geschah ganz undramatisch. Ein Knall am Himmel bei der Befehlsausgabe, Thomas warf sich mit den anderen in den Dreck und war der einzige, der nicht mehr aufstand. Ein Granatsplitter hatte ihn an der Hüfte erfaßt und ihm die Seite aufgerissen.
    Er wurde verbunden und sollte zum Verbandsplatz Otorwanowka geschafft werden, der aus vier Häusern und drei Lehmhütten bestand und gerade zur Hauptkampflinie wurde. Rings um das gespenstische Lazarett waren die Toten wie zu Terrassen aufgestapelt. Die Sanis, die die Verwundeten zur Behandlung brachten, legten sie einfach auf den Boden neben die Sterbenden. Kein Auge sah mehr nach den Toten, und keine Hand rührte sich für die Lebenden. Die Medikamente waren längst verbraucht, die Hütten standen in Flammen, und wer gestern erfroren war, dessen Leiche verbrannte heute noch zusätzlich.
    Schon auf halbem Weg wurde Thomas Kleebach umgeleitet. Er war bewußtlos im Wundfieber, und er hatte Glück, daß ihn die Träger nicht einfach absetzten und liegen ließen, obwohl sich auch darum kein Mensch mehr gekümmert hätte.
    Dem Hörensagen nach gab es noch ein Lazarett mit zwanzig Ärzten in einem zerschossenen Kaufhaus. Ärzte ohne Medikamente, mit ausgemergelten, erschlafften Händen, Ärzte, die den Toten die eitrigen Verbände abrissen und damit die Verwundeten betreuten, die Sepsis säten und Exitus ernteten und die zuletzt so erfinderisch waren, das Futter aus den Mänteln der Verletzten zu reißen und damit die Wunden zu verbinden.
    Es gab nichts mehr zu tun. Inmitten der Sterbenden mußten sich die erschöpften Ärzte eingestehen, daß ihre Arbeit völlig sinnlos war. Der Mann, den sie operierten, erfror ein paar Stunden später auf seiner kalten Bahre, die man auf den Gang stellen mußte, weil in keinem Zimmer mehr Platz war, und der Verwundete, dessen Bein sie amputierten, war drei Tage später verhungert, da ihm kein Mensch mehr etwas zum Essen gab.
    Die letzte Nahrung, die die Ju's unter entsetzlichen Verlusten in die Stadt brachten, war in erster Linie der Feldgendarmerie vorbehalten, die die sogenannte Ordnung aufrechterhielt; denn Ordnung mußte sein, damit Stalingrad, wie es im Wehrmachtsbericht hieß, ›bis zur letzten Granate kämpfte‹. Bis zur letzten Granate mußte gekämpft werden, weil Hitler es so befohlen hatte.
    Aber der Kreislauf des Irrsinns war zu groß, als daß noch einer daran denken konnte. Stalingrad letztes Lazarett in einem ausgebrannten Warenhaus verfügte nicht einmal über eine Rotkreuzflagge. Und immer wieder wurden neue Verwundete herangetragen und einfach abgestellt, und immer beugte sich ein Feldarzt über ein stoppeliges Gesicht und betreute den Mann, obwohl er bloß seine Qual verlängerte.
    Der Tag war dunkel und lichtlos wie jeder andere; selbst der Himmel über Stalingrad hing noch voller Eis, bis der Horizont wieder zum Feuerschlund wurde und Blitze spuckte, die die stinkenden Trümmer nach versickerndem Leben umpflügten. Der Pulverdampf und der Tagesdunst trugen eine Farbe, waren uniform: grau, feldgrau …
    Die Granaten jaulten über den letzten deutschen Hauptverbandsplatz, der in dem halbausgebrannten, russischen Warenhaus untergebracht war. Der Einschlag ganz in der Nähe der großen Ruine riß den Mörtel von der Decke und bröckelte ihn in das Gesicht von Oberleutnant Thomas Kleebach. Er merkte es nicht. Er war bewußtlos. In der klaffenden Wunde an seiner Hüfte steckte das verdreckte, verlauste Futter seines Mantels als Notverband, und der Feldunterarzt, der ihn betreut hatte, wußte nicht, ob die letale Infektion noch vor der tödlichen Erfrierung eintreten würde.
    Die Einschläge tasteten sich näher an das Warenhaus heran. Seine Mauern vibrierten wie bei einem leichten Erdbeben. Einen Moment lang wünschte Oberstabsarzt Dr. Münemann, daß die nächste Lage das morsche Haus zerfetzen möchte, ihn, seine neunzehn untauglichen Unterärzte, die Verwundeten und die Sanitäter, die immer neue Bahren heranschleppten und ihm vor die Füße legten. Er war längst kein helfender Arzt mehr, sondern ein Kalfaktor des Todes, dem er nichts mehr entgegenzustellen hatte als seine Hände, und selbst diese waren so frostklamm, daß sie kein Skalpell mehr halten konnten.
    Der Oberstabsarzt

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