Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Verzweiflung die anderen aus ihrer Lethargie reißen mußte.
    »Ich muß!« wiederholte der Rübenkopf mit fiebrigen Augen, »ich will … ich werde … um jeden Preis!«
    »Und wenn du mit zerschlagenem Arm hier liegenbleibst, was dann?«
    »Meine Sache«, versetzte der Unteroffizier. Er hob das Eisenstück wieder vom Boden auf. Um den Kompanieführer kümmerte er sich nicht weiter.
    Und Kleebach sah, daß es dieser Wahnsinnige immer wieder probieren würde, das nächstemal mit einem Beil, und zuletzt vielleicht mit einem Strick. Und da wurde der Mund des jungen Offiziers schmal und sein Blick kalt. »Dreh dich um!« sagte er und nahm ihm das Eisen weg.
    Der Rübenkopf begriff ihn nicht.
    Thomas nahm den Arm Putzkes und legte ihn auf das Mauerstück. Ein paar Sekunden später fiel lautlos der Hieb auf den Lumpen und zerschmetterte mit einem einzigen Schlag das Armgelenk des Rübenkopfs, genau in der Mitte. Er brach in die Knie, stand wieder auf. Seine Unterlippe blutete, aber sein vom Schmerz verzerrtes Gesicht strahlte übergangslos vor Freude, als er merkte, daß mit diesem Arm nichts mehr anzufangen war.
    »Ich melde das dem Feldlazarett … als Folge einer Verschüttung«, sagte Oberleutnant Kleebach mit frostiger Stimme, als er den Keller verließ. Er dachte keine Sekunde daran, daß er sich an einer Selbstverstümmelung beteiligt hatte. Er wußte nicht einmal genau, warum er dem plötzlichen Impuls gefolgt war. Einer hatte eine Chance sich sehr schwer erkauft, und er war bereit, sie auch jedem anderen einzuräumen, und ohnedies würde der Mann mit dem zerschmetterten Arm bloß bis Woroponowo kommen, wo Hunderte von verwundeten Landsern in ungeheizten Eisenbahnwaggons kauerten und auf den Abtransport warteten, bis sie erfroren und ihre Leichen dann von Sanitätern zum Fenster hinausgeworfen wurden, um anderen Verwundeten Platz zu machen, die sich schichtweise in die tödliche Illusion hineinfroren …
    Der Zug des Oberfähnrichs Achim Kleebach hatte nicht einmal mehr die Stärke einer Gruppe und lag neben dem ›Platz der Gefallenen‹, der Piazza des Grauens, wo allabendlich Verpflegung abgeworfen und füsiliert wurde. Er reckte sich mit seinen Leuten nach oben, als er das brummige Geräusch der heranschwebenden Ju's hörte, und der Hunger wurde so stark in seinen Gedärmen, daß er wie eine Walze über seinen Leib rollte, und er glotzte nach oben und schluckte und wartete auf das Scheinwerferlicht, und dann auf die russische Artillerie, und er setzte seine ganze Hoffnung in den Wunsch, daß eine dieser dicken Ju's rechtzeitig abgeschossen würde, und dann genau in seine Stellung knallte, und daß sie sich endlich bedienen konnten.
    »Hör zu!« sagte Unteroffizier Hanselmann, der Bulle, »ist doch Wahnsinn, hier darauf zu warten, bis sie uns wieder ein halbes Keks und fünf Bohnen zuteilen … ich schnapp' mir zwei Mann und geh' organisieren.«
    »Quatsch!« entgegnete Achim matt und deutete auf den Platz der Gefallenen. »In einer Stunde erschießen sie wieder Marodeure …«
    »Marodeure«, wiederholte Hanselmann höhnisch und faßte sich an die Stirn, »lieber krepier' ich mit vollem Bauch als mit leerem … was meinst du, Professor?«
    Der kleine Sawitzky nickte beflissen. Selbst seine Nickelbrille flimmerte vor Hunger.
    Achim Kleebach, Unteroffizier Hanselmann und der Professor waren die letzten drei des inzwischen viermal aufgeriebenen und fünfmal ergänzten Zuges. Die Neulinge fielen, verhungerten oder erfroren meist rascher, als man sich an ihre Gesichter gewöhnt hatte, und manchmal sogar, bevor Achim ihre Namen notiert hatte.
    »Also, machst du mit?« drängte der Bulle.
    »Idiot!« versetzte Achim Kleebach und sah mit süchtigen, gierigen Augen nach oben, wo sich das Geräusch der Flugzeuge verstärkt hatte.
    »Ich schon«, schob sich der kleine Sawitzky heran.
    »Ihr habt doch keine Chance«, entgegnete der Oberfähnrich.
    »Das denkst du«, erwiderte Unteroffizier Hanselmann heftig, »aber du hast ja auch kein Hirn, so wenig wie die da, die jeden Abend …« Er fuhr sich mit der flachen Hand mit charakteristischer Geste unter dem Kinn hindurch. »Verstehst du, die fallen einfach über das Zeug her wie die Tiere, gierig und dumm …«
    »Und du?« fragte Kleebach höhnisch.
    »Wir machen das anders … ganz militärisch«, antwortete der Bulle, »mit Feuerschutz … ihr beiden …«, er nickte Sawitzky und einem Obergefreiten zu. »Ihr macht euch an das Fressen ran und schnappt so

Weitere Kostenlose Bücher