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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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zwölf Stunden nach Hanselmanns Wahnsinnstat, kam endlich wieder Verpflegung nach vorne. Bevor die Träger jedoch den Zug Kleebachs erreichten, hatte er seine ersten beiden echten Überläufer …
    Russland empfing den Panzerleutnant Thomas Kleebach mit Wodka und Wanzen, mit dem Gekreisch der Raben, mit schlammigen Straßen, mit dem Geheul der Wölfe, und den fernen Schüssen der Partisanen, mit Sumpf und Endlosigkeit, mit fahlem Licht und lauten Kommandos, mit Angst und Verwirrung.
    Er saß zusammengekauert im Polsterabteil des Fronturlauberzugs. Nur gelegentlich warf er einen Blick durch die holzverschalten Scheiben, ließ sich weiterziehen, dreitausend Kilometer weit, einfach einem zurückweichenden Horizont entlang, und wußte dabei, daß er diese gewaltige Strecke bestenfalls zurücktippeln würde. Bei Kalatsch geriet er plötzlich in Frontnähe. Gerüchte wollten von einem russischen Durchbruch wissen. Der Zug, in dem der Leutnant saß, war einer der letzten, die nach Stalingrad hineinrollten, bevor es abgeschnitten war. Und der junge Offizier erfaßte instinktiv, daß er einer der 300.000 war, die in der erbarmungslosen Mausefalle saßen.
    Thomas Kleebach übernahm eine Kompanie der Kampftruppe Tollsdorf und damit die Gewähr, auf schnellstem Wege verheizt zu werden, und das war noch das feinste Schicksal, das ihm Stalingrad zu bieten hatte. Die Stadt war verloren, und die Landser hofften und hungerten sich in den schleichenden Tod hinein. Gefürchteter als die Rote Armee waren zunächst noch der Frost und der Hunger. Dazu kam die Ruhr, eine Seuche, die fast alle Verteidiger Stalingrads erfaßte und sie so apathisch machte, daß ihnen der Weg zur Latrine zu weit war – selbst noch für den Ekel zu entkräftet.
    Die Kompanie Kleebach war noch halbwegs intakt und hielt eine vergessene Stellung irgendwo im Nordosten der Stadt. Sie wußte nicht, warum sie noch kämpfte, und so wenig, weshalb sie noch lebte. Das letzte Troßpferd hatte die Einheit vor zehn Tagen geschlachtet und aufgeteilt.
    Leutnant Thomas Kleebach war vermutlich der einzige Soldat seiner Kompanie, der das Ausmaß der Katastrophe klar übersah und sich nichts vormachte – um so leichter fiel es ihm deshalb, seine Leute zu bluffen. Ihre Lage war keinen Deut besser als an einem anderen Abschnitt im Kessel von Stalingrad, aber die Landser sahen zu ihrem Kompanieführer auf, als könnte er ein Wunder bewirken. Statt mit Essen wurde die Kompanie wie alle anderen Einheiten mit Parolen gefüttert. 300.000 Menschen setzten auf die Befreiung durch General von Manstein, ohne es zu glauben; die Männer um Kleebach glaubten es, ohne darauf zu setzen, und erlagen so der Faszination eines Mannes, der sein Schicksal mit ihnen genauso teilte wie die letzte Scheibe Brot. Thomas war nur noch geblieben, seine Leute so lange bei Laune zu halten, bis sie es überstanden hatten, heute, morgen, oder irgendwann …
    Seit dem 23. November 1942 war die Lebensader der Stadt abgeschnürt. Die Russen hatten einen Einbruch erzielt und die 6. Armee isoliert. Noch war der Kessel, in dem ihr Schicksal dampfte, groß und lebensfähig; noch ließen sich russische Einbruchstellen notdürftig flicken, bis vom Südwesten her General von Manstein mit der neugebildeten Heeresgruppe Don die eingeschlossene Armee entsetzte. Doch Mansteins Angriff brach 48 Kilometer vor dem Rand des Kessels zusammen. Es hätte nur noch eine Chance gegeben: einen konzentrierten Ausbruch. Hitler verbot ihn, befahl Einigelung und versprach wiederum Befreiung aus der Umklammerung. Statt dessen jedoch rollte die sowjetische Offensive vom 6. Dezember weiter, zerschlug die 8. italienische Armee, und Manstein mußte, statt Paulus zu helfen, ein weiteres Loch flicken, um wenigstens ein zweites Stalingrad zu vermeiden, und somit war an Weihnachten 1942 das Schicksal der fast 300.000 endgültig besiegelt.
    Ihre Hände konnten vor Ermattung die Spitzhacke nicht mehr halten, und ihre Geräte vermochten in den hartgefrorenen Boden nicht einzudringen. Ausgebaute Stellungen blieben ein Wunschtraum, und Munition eine Illusion, und der Selbstmord wurde zur Mode. Die Stadt mußte allein aus der Luft versorgt werden. Die Russen berannten den Kessel, der immer kleiner wurde und zuletzt auf die winzige Peripherie um Stalingrad zusammenschmolz.
    Die frontnahen Flugplätze, von denen aus die Verteidiger schlecht und recht versorgt wurden, fielen nach und nach in die Hände der Rotarmisten, und zuletzt war nur noch der

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