Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Sie hatte noch nie so recht verstanden, was genau die Leute zu solchen Veranstaltungen lockte, schließlich bekamen sie doch vom Rennen nur sehr wenig mit. Das meiste spielte sich ja weit draußen auf dem Wasser oder ganz außer Sichtweite ab. Aber was auch immer es sein mochte, die Menschen strömten in Scharen herbei, besonders, wenn es um den Heartsease Cup ging.
An der Anlegestelle des Segelclubs sah sie Henry und Martha. Die beiden ließen gerade die
Ehrliche Armut
zu Wasser. Auf der Sliprampe lag bleicher weißer Sand.
»Ich fürchte, ich werde euch nur behindern«, war das Erste, was Martha sagte, als ihre Freundin zu ihnen trat.
Felicity zwang sich zu einem zuversichtlichen Lächeln. Henry verzog keine Miene. Sie hatten in den letzten Wochen immer wieder mit Martha geübt, aber es war, als wäre nichts bei ihr hängen geblieben. Jedes Mal, wenn sie segeln gingen, musste Henry ihr alles von Neuem erklären. Es war offensichtlich, dass sie die Wettfahrt zusammen mit Martha nicht gewinnen konnten, trotzdem kam es für ihn und Felicity nicht infrage, auf sie zu verzichten.
»Mach einfach, was ich dir sage, dann ist alles in Butter.« Henry grinste. Martha schubste ihn freundlich.
Die Regattastrecke führte nach Westen zur Tempest Bay. Bei dem Wrack vor der Landzunge musste man wenden und dann nach Wellow zurückfahren. Felicitys Nerven waren zum Zerreißen gespannt: Es war das erste Mal, dass sie an dieser Wettfahrt teilnahm, und außerdem hatte man in diesem Jahr niemand anderen als ihren Großvater gebeten, bei der Siegerehrung den begehrten Kristallpokal zu überreichen.
Sie watete ins seichte Wasser und fasste das Vorstag des Boots, während Henry mit geübten Handgriffen die Segel und Leinen klarmachte. Die beiden waren ein eingespieltes Team und verstanden einander auch ohne Worte. Die Füße all der anderen Segler um sie herum wirbelten den Grund auf, das Wasser war trüb, aber nicht schlammig, sondern eher weiß getönt. Felicity grub ihre Zehen in den Boden und spürte Sand. Schon wieder dieser bleiche Sand – offenbar hatte die letzte Flut ihn hergeschwemmt. Felicity war es recht, er fühlte sich angenehmer an als der übliche Schlick.
Martha kletterte ins schwankende Boot. Ängstlich suchte sie Halt am Großbaum, der prompt auf die andere Seite schwenkte, sodass sie das Gleichgewicht verlor. Ein paar der anderen Segler grinsten spöttisch.
»Setz dich hierher«, sagte Henry und deutete auf einen Lufttank.
Felicity lächelte Martha ermutigend zu, dann drehte sie sich um und sah zur Aussichtsplattform vor dem Clubhaus hinüber, wo Jebs Großvater Isaac stand. Rafe hatte gesagt, dass er sich mit ihm verabredet hatte. Felicity winkte. Isaac erwiderte den Gruß. Er zog an seiner Pfeife, und Felicity war, als könnte sie den Vanilleduft seines Tabaks riechen.
»Hey, Gallant!« Die Stimme, die Felicity aus ihren Gedanken riss, war ihr nur allzu bekannt. Miranda Blake stand auf der Sliprampe und sah mit leicht schrägem Kopf auf sie hinunter. »Ich finde es echt toll, wie du immer angezogen bist«, sagte sie. »Die Zusammenstellung wirkt so wunderbar zwanglos: Man sieht sofort, dass du einfach das Nächstbeste nimmst, das dir in die Finger kommt. Ach, denke ich mir jedes Mal, wenn ich dich sehe, muss das schön sein, wenn man keinen Geschmack hat!«
Felicity verzog das Gesicht. Bis vor einem Jahr hatte sie sich vor Miranda gefürchtet, aber seitdem war vieles anders geworden.
Erst jetzt sah sie, dass das Boot der Blakes direkt neben der
Ehrlichen Armut
lag. Mirandas Brüder George und Oscar waren damit beschäftigt, die Segel festzumachen. Die beiden kamen ihr plumper vor denn je. Die Sommersonne hatte ihre Haare fast weiß gebleicht, ihre Haut wirkte ungesund rosa.
Die
Ehrliche Armut
war bereit zum Auslaufen. Felicity zog sich an der Bordwand hoch, stieg ins Boot und setzte sich auf die Ruderbank.
»Glaubst du im Ernst, du lernst es noch?«, höhnte George. »Pech, wenn man Eltern hat, die es nicht für nötig halten, ihren Kindern das Segeln beizubringen.«
»Eure Eltern hätten euch besser Manieren beibringen sollen«, knurrte Felicity. Martha warf den Brüdern zornige Blicke zu.
»Na, na, jetzt übertreibst du’s aber.« Miranda musterte ihre schön lackierten Fingernägel. »Du bildest dir wohl ein, du bist was Besonderes, bloß weil dein Großvater in so einem vornehmen Haus hoch über der Stadt wohnt.«
»Halt endlich die Klappe«, sagte Henry und stieß das Boot vom Steg ab.
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