Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Mitte des Schachts entspringt eine kleine Quelle, und da befindet sich einer der geheimen Orte, von denen in dem Text da die Rede ist«, sagte Miss Cameron. »Dort werden Geschichten wahr.«
»Was? So etwas gibt es tatsächlich?« Martha sah sie ungläubig an.
»Geht lieber nicht dahin«, mahnte Miss Cameron. »Die Leute, die den Schacht zugeschüttet haben, wussten schon, was sie taten. Eine einzige schlechte Formulierung kann die schrecklichsten Folgen haben. Und da unten im Schacht ist es besonders gefährlich, weil durch den Hall Wörter entstellt und verzerrt werden können.«
»Am besten wäre es, wir würden das Loch wieder verschließen«, sagte Henry. »Meine Brüder würden mir bestimmt dabei helfen.«
»Das schafft ihr nicht«, meinte Miss Cameron.
Henry richtete sich zu voller Größe auf. »Ich bin ein Twogood, und damals, als man das Ding zum ersten Mal zugeschüttet hat, waren auch schon Twogoods dabei.«
Martha musste grinsen, als sie ihn so hörte. Henry warf ihr einen strafenden Blick zu.
Felicity kam ihm zu Hilfe: »Henrys Brüder sind wirklich tüchtig.«
»Kann sein, aber um den Schacht aufzufüllen, braucht man riesige Mengen Schutt«, sagte Miss Cameron. »Seinerzeit haben zwanzig Mann etliche Tage lang gearbeitet, um das zu schaffen.«
»Ach so.« Felicity und Martha zogen lange Gesichter.
Henry schaute sie an, als wären sie ein bisschen bescheuert. »Klar, aber wir wollen doch gar nicht das
ganze
Loch zuschütten. Es reicht vollkommen, wenn man die beiden
Enden
verschließt. Oben, in einem Meter Tiefe oder so, konstruiert man eine Art Deckel, darüber kommt eine Schicht Erde, und wenn man dann noch ausgestochene Rasenstücke drauflegt, ist von dem Schacht überhaupt nichts mehr zu sehen. Und die Öffnung unten in der Höhle wird man auch irgendwie zustopfen können – da müssen wir uns eben was einfallen lassen. Wir kriegen das schon hin, glauben Sie mir.«
»Eigentlich dürfte ich nie und nimmer zulassen, dass ihr auch nur in die Nähe des Wunschbrunnens kommt«, sagte die Bibliothekarin. »Schon ein einziger Satz, den jemand spricht, kann schrecklichen Schaden anrichten, das hat sich oft genug gezeigt. Der letzte dieser Unglücksfälle, der ein eitles junges Mädchen betraf, war so schlimm, dass die Einwohner von Wellow beschlossen, der Sache ein für alle Mal ein Ende zu machen und den Brunnen zuzuschütten.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Martha.
»Sie fand, dass ihre Freundin Polly viel schöner war als sie, und so ging sie hin und rief hinunter, sie wolle so hübsch sein wie Polly. Aber irgendwie scheint der Brunnen nicht ›Polly‹, sondern ›Molly‹ verstanden zu haben, und so hieß die
Katze
des armen Mädchens.«
»Die alte Mrs Puss! O Mann!« Henry stöhnte. »Habt ihr die gekannt? Die hatte lauter Haare im Gesicht und ganz unheimliche gelbe Augen. Und sie trug immer Handschuhe, sogar im Sommer.«
Miss Cameron sah hinunter auf ihre Hände. Martha schüttelte sich.
»Na ja«, sagte Henry nach einer Weile, »dann reden wir am besten nicht, solange wir dort sind.«
Martha schnaubte. »Dass ich nicht lache. Du kannst doch nicht mal fünf Minuten lang den Mund halten.«
Henry warf ihr einen strafenden Blick zu.
»Also gut«, sagte Miss Cameron nach einer Weile, »aber ich gehe mit euch und passe auf, dass nichts passiert.«
»Ich hab nichts dagegen, obwohl ich es ganz unnötig finde.« Henry scharrte mit dem Schuh auf dem Fußboden.
»Nein, ich möchte dabei sein. Wann wollt ihr anfangen?«
Henry überlegte kurz. »Wieso nicht gleich heute Abend? Bertie und Fred wollen heute zum Essen kommen. Die frage ich, ob sie auch helfen. Zusammen mit Percy und Will sind wir dann schon zu fünft.«
»Das wäre schön«, sagte Miss Cameron. Sie eilte zur Theke und holte ihre grüne Handtasche hervor. »Wollen wir gehen?«
Henry schüttelte den Kopf. »Es wäre besser, Sie warten hier. Ich muss erst mit meinen Brüdern reden und die wollen bestimmt auch was essen. Wir holen Sie später hier ab.« Er wandte sich an Felicity und Martha. »Ihr beide könnt mitkommen und mir helfen, die Sachen zusammenzupacken, die wir brauchen.«
»Wenn irgendwo ein kniffliges praktisches Problem zu lösen ist, dann sind die Twogoods nicht mehr zu halten«, sagte Felicity, als sie, begleitet von Miss Cameron, zur Tür gingen. »Du glaubst doch keine Sekunde lang, dass es da wirklich eine Wunschquelle gibt, oder?«
»Seid froh, dass ihr uns habt«, antwortete Henry. »Wenn das alles
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