Felidae 05 - Salve Roma-neu-ok-21.02.12
heruntertropften.
»Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Aber ich
hatte einen Deal mit Gott, daß er mir dies nie wieder zeigen wird. Wie immer
hat er auch diesmal sein Wort nicht gehalten.«
4.
Inzwischen hatte die Dunkelheit von der gesamten
Tempelanlage Besitz ergriffen, obwohl am Himmel noch vereinzelt violette
Schleierwolken schimmerten. Das Dauerbrummen des Verkehrs hatte nachgelassen,
und allein das enervierende Gehupe und das Röhren von Motorrädern unterbrach
gelegentlich die Beinahe-Stille.
Die Traube um die Tote löste sich allmählich auf.
Nur wenige hielten das grausige Bild noch aus, teils aus morbider Neugier,
teils weil die Fassungslosigkeit sie schier gelähmt hatte. Der Rest verlor sich
wortlos und mit hängenden Köpfen in den Rudimenten. Der antike Ort machte durch
die grausige Bescherung seiner Legende wieder einmal alle Ehre. Dieser Legende
nach soll Julius Cäsar just am Largo Argentina von seinen Feinden 44 vor
Christus ermordet worden sein.
Der Zeitgenosse, dem ich momentan ins Antlitz sah,
schien von dem Grauensbild ebenfalls ergriffen, behielt jedoch einen stoischen
Ausdruck bei. Er war von kräftiger Statur, ein richtiger Brocken, dessen Narben
und abgeschabten Stellen im Fell ihm etwas von einem verwegenen Piraten
verliehen. Das von Wundmalen und schlecht ausgeheilten Entzündungen gezeichnete
Gesicht war von angsteinflößender Mißgestalt. Allein die Kupferaugen vom Umfang
großer Glasmurmeln strahlten so makellos, als seien sie soeben frisch vom Werk
geliefert. Kein Zweifel, ich hatte es mit einem alten Kämpfer zu tun, der
deshalb so alt geworden war, weil seine Zähigkeit stets seine Gegner besiegt
hatte. Wobei unter Gegnern auch unbehandelte Krankheiten und das harte Leben
auf der Straße verstanden werden müssen.
Unkraut vergeht nicht! mochte man so einem zurufen
und ihm auf die Schulter klopfen, hätte sich nicht seine einschüchternde
Erscheinung in schmutzigem Grau solch eine Geste von sich aus verboten. Sein
Scusi-Signore-Getue wirkte da nur wie ein freundliches Visier.
»Sie überraschen mich, Signore«, sagte er galant.
»Andere Ausländer wären bei diesem Anblick gleich
umgekippt. Diese feinen Leute kennen die hiesigen Sitten nicht und schon gar
nicht die unbarmherzigen Regeln der Straße. Die Glücklichen!«
»Glaub mir, mein Freund, das Böse ist keine
römische Erfindung«, entgegnete ich und wischte mir mit der Pfote die letzten
Tränen vom Gesicht. »Und was Mord angeht, gibt es bestimmt kein römisches
Patent.«
»Mord …?«
Für einen Moment drohten seine Gesichtszüge zu
entgleisen. Er wirkte verwirrt. Bis das Visier der Höflichkeit wieder
herunterklappte.
»Ah si. Si, si, assassinio. Mord ist an der Tagesordnung in dieser città
misera. Und wissen Sie auch, warum, Signore? Weil molta semplicione denken, daß
sie ohne Schutz auskommen könnten. Dabei ist es so einfach, Schutz zu
bekommen.«
Er vollführte mit dem Kopf eine konspirative Geste
und vergewisserte sich, daß wir unbeobachtet waren. Dann neigte er sich zu mir
und sprach leise aus einem Maulwinkel, als plaudere er das bestgehütete
Geheimnis aus.
»Vertrauen sie mir, Signore, ich kann für Sie
leicht Schutz arrangieren. Ich gehöre nämlich der Organisation an. Dafür müßten
Sie natürlich die Hälfte des Futters mit uns teilen, das Sie finden. Ähm,
concreto müßten Sie es mit mir teilen.«
Ich hatte einen Verdacht, worauf er hinauswollte,
hielt es jedoch für einen Witz.
»Was für eine Organisation?«
Er verzog eine mitleidige Miene. Er hatte einem
Kind die Sache zwischen Männchen und Weibchen verklickert, und es hatte immer
noch nichts kapiert.
»Na die Organisation, Signore, die Mafia, die Cosa
Nostra, die Schwarze Hand. Noch nie etwas davon gehört?«
»Gehe ich richtig in der Annahme, Signore, daß Sie
mir ein Angebot machen, das ich nicht ablehnen kann?«
entgegnete ich.
»Exakt!« schoß es aus ihm heraus. »Wie Sie
vielleicht schon gehört haben, pflegen wir in Italien gewisse Traditionen –
nach denen sich diese arme Schwester hier wohl leider nicht gerichtet hat …«
»Und wie Sie vielleicht schon gehört haben, wurden
in Italien Mitte der siebziger Jahre die Irrenhäuser abgeschafft. Seitdem
dürfen die Patienten frei unter den Werktätigen weilen und ihren Irrsinn
ausleben, ohne Elektroschocks befürchten zu müssen.«
Der da sprach, war zunächst nicht zu sehen. Der
Pirat zuckte zusammen, als wäre ihm Don Corleone persönlich in die Parade
gefahren.
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